Ungewöhnliche Orte

Wohnen im ehemaligen Vorstadtbahnhof Prenzlau

Prenzlau / Lesedauer: 3 min

Der letzte Zug Richtung Templin ist in der Prenzlauer Vorstadt 2003 abgefahren. Dass der Bahnhof überlebte, grenzt fast an ein Wunder.
Veröffentlicht:05.08.2019, 08:44
Aktualisiert:06.01.2022, 14:30

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„Schätzen Sie mal, wie viele Glasscheiben sich allein im Erdgeschoss befinden... 228. Davon waren nur sechs unzerstört, als wir den Vorstadtbahnhof für uns entdeckten“, schildert Dr. Reinhart Müller-Zetzsche.

Etwas mit Charakter

Seit 2009 haben er und seine Frau Claudia sich in der Uckermark nach einem neuen Zuhause mit besonderem Charakter umgeschaut. Für die beiden Ex-Berliner stand damals fest, ihren Lebensmittelpunkt in der Uckermark behalten zu wollen. Im August 2000 hatte Müller-Zetzsche den neu gebildeten Kirchenkreis Uckermark als Superintendent übernommen. Seine Frau arbeitet als Medizinpädagogin in der Beruflichen Schule in Pasewalk.

Unterlagen aus Stettin

Kaum zu glauben, dass am Vorstadtbahnhof bis ins Jahr 2003 noch die „Ferkeltaxen“ nach Templin und weiter Richtung Löwenberg ankamen und abfuhren. Erbaut wurde der Vorstadtbahnhof 1899, erste Zeichnungen aus dem Jahr 1933 entdeckte Müller-Zetzsche in den Unterlagen des ehemals zuständigen Reichsbahnamtes Stettin.

Undurchsichtige Verhältnisse

Zwei Jahre dauerte es, bis die zunächst undurchsichtigen Eigentumsverhältnisse geklärt und die Immobilie samt Straße gekauft werden konnte. Nur eine Anekdote aus dieser Zeit: „Im Grundbuch stand eine Elke Patron. Es dauerte, bis wir herausgefunden hatten, dass sich dahinter keine Frau, sondern ein Immobilienfonds aus Luxemburg verbarg, der 600 Bahnhöfe im Paket gekauft hatte“, schildert der neue Hausherr.

Abenteuer mit Überraschungen

Als 2012 die beiden Wagemutigen den Bahnhof kaufen konnten, ging das Abenteuer in die nächste Runde. Die notwendige Entrümpelung, der Rückbau der Technik schien nicht nur eine Mammutaufgabe zu sein, sie wurde es auch. Wie üblich bei Gemäuern mit Geschichte, kamen dabei so einige Überraschungen zum Vorschein. Unmengen an Putz waren abzuschlagen, mit Spanplatten und Linoleum aufgebaute Fußböden abzutragen.

Kurze Bauzeit

Wenn Claudia und Reinhart Müller-Zetzsche heute auf dem ehemaligen Bahnsteig stehen – inzwischen ein blühender Garten, der stetig wächst – und auf das beeindruckende Backstein-Ensemble schauen, können sie es manchmal selbst kaum glauben, was sie in dann doch recht kurzer Bauzeit (Einzug in der unteren Etage war bereits 2015) erreicht haben. Auf 190 Quadratmetern plus 90 Quadratmetern Nebengelass haben sie ein Wohnambiente mit „besonderem Charakter“ geschaffen. Im Obergeschoss hat eine 97 Quadratmeter große, bereits gut gebuchte Ferienwohnung Platz gefunden.

Radwegidee bleibt Traum

Der letzte Zug am Vorstadtbahnhof ist vor 16 Jahren abgefahren, die Schienen hat der Vorbesitzer längst weiterveräußert. Der Traum, die ehemalige Bahnstrecke Prenzlau-Templin als Radweg ausbauen zu können, ist mit der Privatisierung der Grundstücke wohl für immer ausgeträumt, bedauern auch die neuen Bahnhofsbesitzer. Ihr Versuch, die alte Telefonnummer des Bahnhofes, die noch als Schriftzug am Gebäude erhalten ist, nutzen zu können, scheiterte. Vierstellige Nummern werden nicht mehr vergeben.