Furchtbare Bilder

▶ Zaun wird zur Todesfalle für Wildtiere (Video)

Prenzlau / Lesedauer: 6 min

Im überschwemmten Odertal spielen sich derzeit dramatische Szenen ab. Es ertrinken zuhauf Tiere, weil sie dem Hochwasser nicht entrinnen können.
Veröffentlicht:04.01.2022, 14:31
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  • Author ImageClaudia Marsal
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Die seit Wochenbeginn im Netz kursierenden Fotos und Videos lösen blankes Entsetzen aus. Darauf zu sehen sind verendete Wildtiere, deren Kadaver im Wasser schwimmen. Die Bewegtbilder haben festgehalten, wie Rehe angstvoll schreiend versuchen, sich auf den überschwemmten Polderwiesen der Oder in Sicherheit zu bringen. Meist vergeblich. Ihr Überlebenskampf endet in der Regel am Zaun, der auf hunderten Kilometern Länge gesetzt worden ist – zum Schutz vor der afrikanischen Schweinepest (ASP).

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Immer mehr Menschen beklagen nun angesichts der furchtbaren Szenen, dass der Zaun nicht nur unausgereift aufgestellt worden sei, sondern pure Tierquälerei darstelle. Wer so etwas wissentlich dulde oder einfach hinnehme, sollte bestraft werden! Das ist eine der Forderungen, die in den sozialen Netzwerken immer lauter wird.

Bilder von toten Rehen

Auch andere Leser machten in Beiträgen auf die Hochwasserkatastrophe aufmerksam: „Das Wild kommt nicht mehr aus den Überschwemmungsgebieten heraus, und dieser Zaun steht jetzt mindestens für die nächsten fünf Jahre.“ Das Ganze sei ein menschlich verursachter Skandal, denn die Überschwemmungsgefahr sei bekannt, die Gebiete ständen jedes Jahr bis zum Frühjahr unter Hochwasser – so der Grundtenor der Wortmeldungen.

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Die Bilder von den toten Rehen sind Anfang Januar nahe Criewen im Nationalpark Unteres Odertal aufgenommen worden. „Es werden weiterhin viele Wildtiere elendig ertrinken. Wo ist da noch die Verhältnismäßigkeit, und wo ist die Menschlichkeit geblieben?“ fragen die Initiatoren um Andrea Zille, die auf ihrer Facebook-Seite als eine der ersten auf das Drama aufmerksam gemacht hatte.

In den Kommentaren dazu wird Verzweiflung laut: „Ich muss nur weinen. Habe selbst bis vor einem halben Jahr in Criewen gewohnt. Ich schäme mich für solch ein Verhalten.“ Selbst Aufrufe zur Gegenwehr sind zu lesen „Wenn sich da Leute zusammentun, kann man doch den Zaun öffnen.“

Verständnis für Behörden

Es werden allerdings auch andere Meinungen laut: „Natürlich ist das dramatisch hoch drei. Die Seuche (ASP) möchte aber auch keiner im ganzen Land haben. Und sie ist schon weit im Land. Mit Folgen.“

Groß ist der Aufschrei auch beim Nationalparkverein Unteres Odertal. Vize-Vorstandschef Dr. Ansgar Vössing erklärte dem Uckermark Kurier: „Der einzige Nationalpark Brandenburgs wird gerade komplett eingezäunt wie ein großer Zoo, nur ohne Elefanten! Wanderungsbewegungen von Huftieren wie Elchen oder Wisenten sind nicht mehr möglich. Nur Vögel können noch frei fliegen. Hohe Metallzäune versperren den anderen Tieren den Weg, auch den Besuchern, die sich von den Anti-Corona-Maßnahmen erholen wollen und nun von Gatter zu Gatter stolpern. Nun läuft das Odertal, wie meist im Winter, gerade mit Wasser voll. Für die eingesperrten Tiere, nicht nur die bösen Schweine, sondern auch die guten Rehe, gibt es aus diesem Zoo kein Entrinnen. Sie scheitern an den Zäunen und verenden jämmerlich. Grund für die unglaublich teuren und aufwendigen Zäunungen quer durchs Land ist der verzweifelte Versuch der zuständigen Behörden, das Vordringen der Afrikanischen Schweinepest (ASP) an der östlichen Grenze Deutschlands aufzuhalten, vor allem um die Schweinebarone mit ihrer Massentierhaltung, vorzugsweise in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, zu schützen. Deren Geschäftsprinzip besteht darin, auf zerstörten Urwaldflächen angebautes Soja-Futter aus Südamerika zu importieren und das Schweinefleisch, vorzugsweise nach China, zu exportieren. Dieser Versuch ist aber, leicht erkennbar, zum Scheitern verurteilt. Viren lassen sich nicht aufhalten.”

Schreckliche Szenen

Für den Naturschutz sei die Lage dem Verein zufolge dramatisch. „Alle Fachleute sind sich da einig, werden aber nicht gehört. An den Zäunen spielen sich schreckliche Szenen ab. Rehböcke verfangen sich mit ihrem Gehörn im Zaun und verenden kläglich. Tierwohl sieht anders aus. Innerhalb der Zäunung sollen alle armen Schweine auf jede erdenkliche Weise zu Tode gebracht werden, 365 Tage im Jahr, Tag und Nacht, eine Waidmannsehre gilt nichts mehr. Auch Fallen werden aufgestellt. Aber es gibt noch ganz andere Infektionswege”, beklagt Dr. Vössing. Dramatisch seien die Zäune seiner Meinung nach auch für das Wolfsmanagement. Herdenschutz mit hohen Elektrozäunen funktioniere zurzeit noch ganz gut, ist er überzeugt. Zwar könnten die Wölfe darüber springen, hätten das bisher aber noch nicht gelernt und praktiziert.

„Es war nicht nötig. Nun versperren überall Zäune ihre Wanderwege. Die intelligenten Tiere lernen also rasch, über hohe Zäune zu springen. Der bisherige Herdenschutz wird danach nicht mehr gut funktionieren, ein Zusammenleben von Mensch und Wolf schwierig. Andere Länder gehen andere Wege als das stark von Massentierhaltung geprägte Dänemark oder Deutschland. Unser östliches Nachbarland Polen lässt die Seuche einfach durchziehen – in der weisen Erkenntnis, dass alle teuren Gegenmaßnahmen letztlich sinn- und wirkungslos sind. Polen weigert sich beharrlich, an seiner Westgrenze ebenfalls Grenzbefestigungsanlagen hochzuziehen. Auch die Bundesregierung will den teuren Spaß den Ländern nicht finanzieren, die gemäß Grundgesetz für die Seuchenbekämpfung auch zuständig sind. Ein Teil der Wild- und Hausschweine wird infiziert und stirbt. Ein anderer, resistenter Teil der Population wird überleben und Ausgangspunkt einer neuen und gesunden werden. Polen empfiehlt seinen Massentierhaltern, ihre Stallungen selbst zu schützen. Schon heute ist ja in diese Festungen für normale Sterbliche kein Reinkommen. Aus Naturschutzsicht jedenfalls kann man auch in diesem Fall nur wieder einmal sagen: Von Polen lernen heißt siegen lernen!”

Vom Nachbarn lernen

Die sich im eingezäunten Bereich befindlichen Rehe, die derzeit entlang des ASP-Schutzzauns an der Oder beziehungsweise am Deich gesehen werden, sollen laut Aussagen des Landkreises Uckermark gezielt aus dem Gelände geführt werden. Das teilte das zuständige Veterinäramt in Prenzlau am Dienstag auf Nachfrage mit. „Durch das ansteigende Wasser im Poldergebiet versuchen die Tiere offensichtlich, schnellstmöglich einen Ausweg zu finden. Dadurch kommt es auch zu Verletzungen am Zaun” – Amtstierarzt Dr. Achim Wendlandt hat sich ein Bild von der Situation gemacht: „Um eine Lösung zu schaffen, sollen die vorhandenen Tore zeitweise geöffnet werden. Damit haben die Tiere die Möglichkeit, einen Weg ins Gelände außerhalb der Polder zu finden. Dazu wird der ASP-Schutzzaun täglich abgefahren. Helfer bzw. Ranger leiten die Tiere zu den Öffnungen. Als Unterstützung soll auch eine Drohne zum Einsatz kommen. Anschließend werden die Tore wieder geschlossen, um den Schutz gegen die Afrikanische Schweinepest aufrecht zu erhalten. Da das Wasser zurückgeht, ist mit einer Beruhigung der Lage zu rechnen. Die Rehe haben jetzt wieder mehr Fläche zur Verfügung, um sich zurückziehen zu können. Wichtig ist, dass die Tiere durch Besucher und durch deren mitgebrachte Hunde nicht beunruhigt werden.”