„Nach Corona droht ein Pflegedesaster“
Ueckermünde / Lesedauer: 4 min

Ein Interview mit Dr. Anja Katharina Peters, Vorstandsmitglied des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe Nordost e.V. – Berlin/Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern.
Wie viele Mitglieder hat der Berufsverband?
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe e.V. hat bundesweit 20.000 Mitglieder. Im Regionalverband Nordost sind wir derzeit 1.820 Pflegefachleute. Da ist noch deutlich Luft nach oben. Je stärker der Verband ist, desto stärker können wir die Interessen der Berufsgruppe vertreten.
Welche Aufgaben hat der Verband?
Wir sind der größte Berufsverband einer organisatorisch leider zersplitterten Berufsgruppe. Wir vertreten alle Pflegefachleute mit mindestens dreijähriger Ausbildung, unabhängig von den Lebensaltern und Settings, mit denen und in denen sie arbeiten, sowie Pflegehelferinnen und -helfer mit einer mindestens einjährigen, staatlich anerkannten Ausbildung.
Wir vertreten die Berufsangehörigen in der Öffentlichkeit in Bezug auf die Weiterentwicklung der Profession, stehen in engen Kontakten mit Ministerien, Behörden und Verbänden, bieten Fort- und Weiterbildungen an, fördern Pflegewissenschaft und -forschung, beraten die Berufsangehörigen in Fragen der Karriereplanung und bei juristischen und Versicherungsfragen.
Unsere Hauptaufgabe ist es aber, die Stimme der größten Berufsgruppe im Gesundheitswesen deutlich hörbar zu machen. Deshalb setzen wir uns auch für die Selbstverwaltung der Pflege ein. Wir sind außerdem der deutsche Mitgliedsverband im Weltbund der Pflegefachleute, dem ICN.
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Was sind gegenwärtig die dringendsten Aufgaben?
Ehrlich gesagt, es brennt pflegepolitisch an allen Enden. Die politischen Entscheidungstragenden und die Arbeitgeberinnen und -geber haben das Thema Professionelle Pflege seit Jahren vor sich hergeschoben und allenfalls an Stellschräubchen gedreht. Nun befinden wir uns in einem dramatischen Pflegepersonalmangel, wir konkurrieren weltweit um Kolleginnen und Kollegen und verbrennen die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen in der laufenden Pandemie. Vor einer solchen Situation haben wir als Verband seit Jahren gewarnt.
Aktuell beraten wir unsere Mitglieder zu aktuellen Erkenntnissen und Entwicklungen rund um Covid-19, wir protestieren gegen unsinnige Forderungen wie die Impfpflicht für das Pflegepersonal, wehren uns gegen die Ausbeutung des Berufsnachwuchses, fordern immer wieder besseren Schutz für Pflegefachleute.
Welches sind die drängendsten Probleme?
Zunächst haben wir schlicht zu wenig gut qualifiziertes Personal bei ständig steigenden fachlichen Anforderungen. Im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern haben wir ein niedriges Ausbildungsniveau und ein sehr schlechtes Verhältnis von Fachkraft zur Anzahl der zu pflegenden Menschen. Das führt schon ohne Pandemie zu verdichteter Arbeit, gefährlicher Pflege und Frustration.
Mit Covid-19 sind die Anforderungen noch höher geworden. Als Gegenleistung gab es Klatschen vom Balkon und zunehmend der Generalverdacht, dass die Pflegefachleute schuld an den Ausbrüchen in den Einrichtungen sind. Mehr und mehr Pflegefachleute sagen, dass sie jetzt noch dabei bleiben, aber nach der Pandemie weg sind. Wenn wir nicht ganz dringend gegensteuern, werden wir nach Covid ein Pflegedesaster erleben, das wir uns gar nicht ausmalen können. Hinzu kommt, dass wir ohne Pflegekammern gar nicht wissen, wer mit welcher Qualifikation wo arbeitet. Im Grunde wird pflegepolitisch im Nebel gestochert.
Ist das geschilderte Geschehen in Ueckermünde ein Einzelfall?
Das wissen wir nicht sicher, aber wir gehen davon aus, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Allerdings sind Pflegefachleute sehr zurückhaltend, wenn es um „Whistleblowing” (Hinweise auf Missstände von internen Mitarbeitern, Anm. der Red.) geht. Das pflichtbewusste Aushalten wurde uns ja quasi in der Ausbildung eingeimpft. Als Berufsverband fordern wir den gesetzlichen Schutz von Kolleginnen und Kollegen, die unhaltbare Zustände öffentlich machen. Da es in Mecklenburg-Vorpommern keine Pflegekammer gibt, existiert auch keine zentrale Stelle, die solche Fälle erfasst.
Wie kann Ihr Verband helfen – und hat er es schon in anderen Fällen getan?
Wir sind gut vernetzt und können die Kolleginnen und Kollegen unterstützen, indem wir diese Netzwerke nutzen und öffentlichen Druck aufbauen. Zudem bieten wir auch juristische Beratung an. Allerdings gab es in den vergangenen Jahren in Mecklenburg-Vorpommern keine bekannt gewordenen Fälle von Whistleblowing wie in Ueckermünde. Die Pandemie verschärft die Situation gerade extrem.
Ich denke, dass diese Meldungen zunehmen werden. Dann muss gesehen werden, ob die Kolleginnen und Kollegen vor Ort Unterstützung wünschen und welche sinnvoll ist. Ich sehe in solchen Fällen auch die Notwendigkeit einer guten Vernetzung von Berufsverband und Gewerkschaften.
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Was müssten Pflegefachleute aus betroffenen Einrichtungen tun, damit Ihr Verband helfen kann?
Zunächst sich trauen, sich an uns zu wenden. Unsere Geschäftsstelle sitzt in Berlin, aber das Team dort leitet die Anfragen dann postwendend an die Vorstandsmitglieder in den Bundesländern weiter – wenn es um Mecklenburg-Vorpommern geht, an mich. Da überprüfen wir auch nicht, ob jemand Mitglied ist. Die juristische Beratung ist allerdings Mitgliedern vorbehalten.