Dokumentation

Fußball-Jungs werden zu Filmhelden

Torgelow / Lesedauer: 4 min

Ein Multikulti-Fußballteam, trainiert von einem Neonazi-Aussteiger – das musste Frau Blumenthal nicht erfinden: Ihr Dokumentarfilm „Im Abseits“ kommt jetzt gehörig voran.
Veröffentlicht:08.02.2023, 12:37
Aktualisiert:08.02.2023, 12:53

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Es kommt nicht oft vor, dass sich Filmemacher nach Vorpommern „verirren“. Von Verirren kann aber auch keine Rede sein, wenn Loraine Blumenthal in den nächsten Monaten häufig in Torgelow sein wird: Hier dreht die Berlinerin, die noch einiges andere mit Mecklenburg-Vorpommern verbindet, für ihren Film „Im Abseits – Eichi und der FC Pio“.

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Darin geht es um ein außergewöhnliches Fußball-Team: mit Spielern unter anderem aus Syrien, Afghanistan, Algerien, Sierra Leone, der Ukraine und Deutschland; trainiert von Thomas Eichstädt, der vom Neonazi-Aussteiger zum engagierten Betreuer junger Leute wurde.

Nordkurier-Artikel liefert Film-Idee

Ein im Nordkurier erschienenes „Eichi“-Porträt hatte Loraine Blumenthal bei deutschlandweiten Recherchen für einen Film über Kinder-Erfahrungen mit Rassismus auf den FC Pio aufmerksam gemacht. Das Projekt brachte ihr bereits für die Stoffentwicklung eine Förderung ein, nun kommt es durch eine weitere Zuwendung erheblich voran: Zu verdanken sind die 240.000 Euro dem brandneuen „Fifty-Fifty-Abkommen“ zwischen der MV-Filmförderung und der Kombination ZDF/Das kleine Fernsehspiel, das Filmtalente aus und in Mecklenburg-Vorpommern unterstützen will. Als allererste Nutznießer wurden der in Rostock angesiedelte Spielfilm „Mels Block“ und eben Loraine Blumenthals „FC Pio“ ausgewählt.

Der Berliner Filmemacherin beschert der Dreh eine Wiederbegegnung mit der Gegend ihrer Jugendjahre: Als sie zwölf war, zog die Familie 1996 nach Wildberg bei Altentreptow. „Torgelow war nicht ganz meine Ecke, aber dort herrscht natürlich derselbe Schnack“, sagt Loraine Blumenthal, für die MV nach wie vor „ein tolles Bundesland“ ist: „Die Menschen sind sehr speziell, aber auf eine total schöne Art und Weise.“

Wechselbeziehungen zwischen den Menschen

Nach dem Abitur ging sie zum Studium nach Bayern und England, wo ihr erster Film „Mapi Liberia“ über ein Mädchen-Fußballteam in einem ghanaischen Flüchtlingslager entstand; seit 2012 lebt sie wieder in Berlin. Ihr Faible für „ungewöhnliche Migrationsgeschichten“, wie es auch die Fördergeber würdigen, hat nicht zuletzt mit eigenen Erfahrungen als Tochter eines ghanaischen Vaters zu tun. Wichtig sind ihr „Themen, die ein bisschen weiterführen, als nur zu sagen: Hier haben wir Menschen mit Fluchterfahrung, jetzt müssen wir sie integrieren“, betont sie, „Integration ist keine Einbahnstraße.“

So interessiert sie auch beim FC Pio des Torgelower Jugendklubs JBB die Wechselbeziehung zwischen den Menschen, mit all ihren verschiedenen Biografien. „Es ist wunderbar zu sehen, wie unaufgeregt hier miteinander umgegangen wird“, sagt sie und weiß auch um die Kehrseite: Zeuge doch der Zulauf für die „bunte Truppe“, dass die politische Lage in vielen Ländern Menschen zur Flucht zwinge. „Der Sport verbindet sie, doch abseits des Spielfeldes holt sie ihre Vergangenheit und Sehnsucht nach Heimat immer wieder ein“, ist eine Grunderfahrung des Films.

Spannungsvoll im Zentrum steht zudem die Geschichte von Thomas Eichstädt: „Natürlich ist sehr interessant, wie es zu dem Wandel kam“, sagt die Filmemacherin über den Trainer, dessen Engagement sie sehr beeindruckt: „Der macht so klasse Arbeit, ist mit Herzblut dabei. Seine Tür steht sperrangelweit offen für alle, die ein gutes Herz haben.“

Ausstrahlung im ZDF

Schon mehrfach hat Loraine Blumenthal in Torgelow gedreht – und ist begeistert, wie vertrauensvoll sich die Akteure öffnen, wie schnell sie sich vor der Kamera authentisch verhielten. Innerhalb kurzer Zeit entstand ein zehnminütiger Clip, der Fördergebern einen ersten Eindruck gibt. 2024 soll der voraussichtlich 70 bis 80 Minuten lange Film fertig werden.

Teil der „Fifty-Fifty“-Vereinbarung ist eine Ausstrahlung im ZDF. Wichtiger als die Sendezeit – bei Dokumentationen oft zu nächtlicher Stunde – ist der Filmemacherin aber die Verfügbarkeit in Mediatheken oder via Social Media. Auch Aufführungen an Schulen, verbunden mit Filmgesprächen, kann sie sich vorstellen, zudem eine Festivaltour. Denn besonders wichtig ist ihr der persönliche Austausch, in dem man „spürt, wo der Film einen Nerv trifft“.