Halbzeit im Bürgermeisteramt

„Ich möchte wieder mehr Gemeinsamkeit in Torgelow“

Torgelow / Lesedauer: 7 min

Seit viereinhalb Jahren ist Kerstin Pukallus Bürgermeisterin in Torgelow. Jetzt ist die Hälfte ihrer Amtszeit um. Was hat sie erreicht, welche Ziele setzt sie sich für die nächsten viereinhalb Jahre? Darüber sprach sie mit Simone Weirauch.
Veröffentlicht:25.05.2023, 17:30

Von:
  • Author ImageSimone Weirauch
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Sie haben sich in ihr Bürgermeisteramt sehr schnell eingearbeitet, waren ja vorher schon viele Jahre in der Torgelower Verwaltung tätig, zuletzt als Bauamtsleiterin und Vizebürgermeisterin unter Ralf Gottschalk. Welches war für Sie die neue Herausforderung im Bürgermeisteramt?

Ich musste erkennen: Ich bin jetzt der Chef. Und ich musste die Gewalt des Wortes erkennen. Wenn ich Ja sage, dann läuft die Maschinerie an. Lernen musste ich auch, dass es etwas anderes ist, ob ich Leiterin des Bauamtes bin oder Chefin der gesamten Verwaltung. Gerade 2019, in meinem ersten Jahr, hat sich die Stadt ausführlich mit den Gesellschafterverträgen beschäftigt. Das war für mich ein ganz neues Gebiet, da habe ich sehr viel Zeit investiert. Ungewohnt war für mich auch die Arbeit mit dem Personal in der gesamten Verwaltung. Da musste ich erst den richtigen Umgangston finden. Jeder weiß, dass man mit Leuten vom Bau anders reden kann. Da zählen klare Ansagen und ein deutlicher Ton. Aber das passt eben nicht immer.

Sind Sie persönlich eine andere geworden als Frau an der Verwaltungsspitze?

Egal, ob Frau oder Mann: Bürgermeister sein macht etwas mit einem. Man wird einsamer. Die anderen machen dir immer wieder bewusst, dass du der Chef bist. Früher konnte ich sagen, ich müsse noch mal den Chef fragen. Diese Ebene ist weg, ich selbst muss jetzt entscheiden.

Bürgermeister sein macht was mit einem. Man wird einsamer."

Kerstin Pukallus

Mit dem Amt sind auch repräsentative Aufgaben verbunden, öffentliche Auftritte und Reden. Jeder merkt, dass Sie über die Jahre an dieser Aufgabe gewachsen sind. Wie haben Sie das geschafft?

(Lacht) Ja, es ist tatsächlich so: Anfangs schlug mein Herz bei jeder Rede, die ich halten musste, so heftig, ich hatte das Gefühl, es springt mir aus dem Leib. In der Rhetorik heißt es, die Stimme folgt dem Körper, wenn also die Füße zittern, zittert auch die Stimme. Ich habe mich anfangs selbst sehr über meine Aufgeregtheit geärgert. Inzwischen kann ich frei reden, mir fallen auch die richtigen Worte zu. Das war ein Lernprozess, je öfter man redet, desto sicherer wird man. Im Jahr 2019 beim Verabschiedungsappell der Bundeswehr habe ich die erste Rede gehalten, mit der ich selbst richtig zufrieden war. Doch dann kam Corona, diese Krise hat meine ersten Bürgermeisterjahre geprägt, vor allem wegen der vielen nicht stattgefundenen Gespräche und Begegnungen. Mir fehlen diese Jahre in der Gestaltung. Wenn ich jetzt draußen unterwegs bin, bei Veranstaltungen, in Gesprächen, merke ich: Die Menschen hören wieder zu, sind einander zugewandt. Das ist einfach ein gutes Gefühl, weil ich merke: Okay, ich bin auf dem richtigen Weg.

Wo steht die Stadt Torgelow heute, nach Corona und nach viereinhalb Jahren mit Kerstin Pukallus als Bürgermeisterin? Ist Torgelow Industrie–Stadt, Stadt im Grünen oder eher Garnisons–Stadt?

Torgelow ist das alles. Wir beschäftigen uns gegenwärtig mit dem Integrierten Stadtentwicklungskonzept, dem ISEK, und prüfen, ob wir neue Leitlinien brauchen oder die drei genannten noch zutreffen. Mir selbst wird die Bedeutung der Bundeswehr in Torgelow immer bewusster, und mit dem neuen Kommandeur besteht weiterhin ein enger Kontakt zur Truppe. Am 31. Mai werde ich an einer Podiumsdiskussion in Berlin zum Thema „Zeitenwende–Vermittlung an den Standorten der Bundeswehr“ teilnehmen. Da geht es darum, wie die Garnisonsstädte die Neuausrichtung der Bundeswehr erleben und wie die Zivilbevölkerung eingebunden wird. Aber genauso merke ich in Gesprächen mit Firmenchefs in Torgelow, dass sie trotz vieler Probleme ihren unternehmerischen Mut nicht verloren haben und eine Zukunft in Torgelow sehen. Das stimmt mich froh.

Neues Unternehmen siedelt sich an

Langwierig und zäh entwickelt sich die Gewerbeansiedlung Torgelow. Welche Erfolge können Sie da vorweisen?

Im Industriegebiet wird sich gegenüber der neuen Biogasanlage ein neues Unternehmen ansiedeln. Seit sieben Jahren laufen Gespräche, es gab Umfirmierungen, aber das Unternehmen hat an Torgelow festgehalten. Die Firma heißt Ground Cube Solution GmbH, produziert und vertreibt technische Ausstattungen von unterirdischen Fertigteil–Hausanschlüssen und Technikräumen und installiert diese Teile. Die Firma hat inzwischen ein Patent für ihr Produkt, hat das Grundstück gekauft. Wir erwarten jetzt den Bauantrag, so dass wir nach gut sieben Jahren den Erfolg hier mit einer Neuansiedlung eines Unternehmens erleben. Damit sind vorerst auch 35 Arbeitsplätze verbunden.

Welches sind die dringendsten Aufgaben, die derzeit in Torgelow anliegen?

An erster Stelle steht der Abschluss der Digitalisierung an unseren Schulen. Der Breitbandanschluss für beide Schulen liegt jetzt an, er ist aber noch nicht freigeschaltet. Im Moment muss noch improvisiert werden. Den Schulleitungen und Kollegien kann ich nur höchsten Respekt zollen, wie sie mit dieser Situation bereits seit der Corona–Zeit umgehen. Spätestens im Jahr 2024 wird der Digitalisierungsprozess abgeschlossen sein, die Schüler können dann endlich mit den Tablets und die Lehrer mit digitalen Tafeln arbeiten. Diese Investition in die Qualität unserer Schulen halte ich für eine der wichtigsten.

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In Torgelow gingen die Leute montags auf die Straße, erst gegen die Coronapolitik, dann gegen die Energiepolitik. Können Sie dieses Engagement und den Mut der Menschen nicht auch in der Kommunalpolitik brauchen?

Ja, konstruktive Kritik und Gespräche bringen uns weiter. Nur abzuwinken und zu sagen, dass sich ja doch nichts ändert, hilft niemandem. Wir werden im Zusammenhang mit den neuen ISEK einen offenen Workshop in Torgelow gestalten. Da geht es darum, wo es in Torgelow Veränderungen geben muss, was bleiben kann oder woran gar nicht gerüttelt werden sollte, weil es so Torgelow–typisch ist.

Torgelow hat derzeit eine Ausländer–Quote von zehn Prozent. Wie kommt die Stadt damit klar?

Torgelow kommt damit klar, weil hier schon 2015 ein Netzwerk der Flüchtlingshilfe geschaffen wurde, mit vielen Ehrenamtlichen, und das besteht bis heute. Gleich nach Beginn des Ukraine–Krieges sind Flüchtlinge nach Torgelow gebracht worden, sie wurden in der Herberge des Vereins Ukranenland–Historische Werkstätten herzlich aufgenommen und mithilfe der Volkssolidarität betreut. Die Wohnungsbaugesellschaft hat Unterkünfte für Kriegsflüchtlinge hergerichtet, derzeit sind 97 Wohnungen an Ukrainer vermietet. In Torgelow leben Menschen aus 44 Ländern. Weltoffenheit und Hilfsbereitschaft für Menschen in Not zeichnet Torgelow schon immer aus, darum kommen wir mit dieser Situation klar. Aber das ist stetige Arbeit, im JBB in Spechtberg, im Familienzentrum in Drögeheide, bei der Arbeiterwohlfahrt und der Volkssolidarität oder den Mitarbeitern der Social Homecare GmbH im Übergangsheim in Drögeheide — wenn man mit den Menschen spricht, die hier arbeiten, merkt man, wie viel Herzblut dabei ist, wie offen sie sind, aber dass sie auch Grenzen setzen können. Ich bin 1987 nach Torgelow gekommen und habe die Torgelower als Menschen schätzen gelernt, die, wenn sie sich einer Sache verbunden fühlen, das dann auch aktiv leben.

Weltoffenheit und Hilfsbereitschaft für Menschen in Not zeichnet Torgelow schon immer aus."

Kerstin Pukallus

Viereinhalb Jahre liegen noch vor Ihnen, was wünschen Sie sich für diese Zeit?

In dieser Zeit möchte ich es schaffen, dass wir hier in Torgelow wieder dichter zusammenrücken. Das war auch mein Wahlthema. Bei den Torgelower Festtagen in diesem Jahr geht es genau darum, wir werden sie erstmals etwas anders gestalten. Eine Woche lang gibt es täglich eine Veranstaltung für eine Generation oder Interessengruppe. Am Sonntag, dem 11. Juni, werden wir eine Unternehmer– und Vereinsmesse durchführen unter dem Motto „Torgelow erleben“. Einen Herzenswunsch aber habe ich noch, nämlich dass wir in meiner Amtszeit den Bahnhof fertigstellen. Als Sitz der Stadtwerke und einer Mobilitätszentrale soll er ein Aushängeschild für Torgelow werden.