Chronologie

Mordfall Leonie - Was bisher geschah

Torgelow / Lesedauer: 12 min

Der Tod der sechsjährigen Leonie in Torgelow hatte die ganze Region erschüttert. Am Dienstag beginnt der Prozess gegen den Stiefvater David H. Hier zeichnen wir nach, was bisher geschah.
Veröffentlicht:23.09.2019, 11:44
Aktualisiert:06.01.2022, 14:40

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Sonntag, 13. Januar

„Polizeieinsatz in Torgelow mit unklarem Hintergrund“: Augenzeugen berichten dem Nordkurier, dass sie am Samstag, 12. Januar, gegen 20 Uhr vor einem Haus in der Breiten Straße Polizeiautos, Rettungswagen und einen Notarzt gesehen hätten. Andere berichten später von einem Leichenwagen. Die Polizei bestätigt einen Einsatz, zu einem möglichen Todesfall äußert sie sich jedoch nicht. Polizeihauptkommissar Holger Bahls, am Sonntag im Präsidium der Polizeiführer vom Dienst, erklärt: „Ich darf nichts zu dem Vorgang sagen.“

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Montag, 14. Januar

„Polizei ermittelt nach Tod eines Mädchens“: Erst am Montag, zwei Tage nach dem Tod der sechsjährigen Leonie, bestätigt die Staatsanwaltschaft, dass es einen Todesfall in Torgelow gab. Es gehe um ein „auf nicht natürliche Weise” gestorbenes Kind. Das Mädchen soll eine Treppe hinuntergestürzt sein. „Dem Jugendamt des Landkreises liegen keinerlei Hinweise vor, die auf etwas anderes als einen Unfall hindeuten würden“, so Achim Froitzheim, Sprecher des Landkreises Vorpommern-Greifswald. Und weiter auf Nordkurier-Nachfrage: „Auch nach dem tragischen Ereignis sieht das Jugendamt keinen Anlass, dort andere Kinder in Obhut zu nehmen, da die Familienverhältnisse als stabil eingeschätzt werden.“

Dienstag, 15. Januar

„Rätsel um den Tod der kleinen Leonie“: Nur bruchstückhaft werden am Dienstagmorgen neue Details über den „Todesfall Leonie“ bekannt. Beatrix Heuer, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg, will vorläufig weder einen Unfall noch eine Gewalttat ausschließen: „Es läuft ein Todesermittlungsverfahren. Wir müssen das Ergebnis der Obduktion abwarten.“ Am Dienstagvormittag überschlagen sich dann plötzlich die Ereignisse. Die Polizei bestätigt, dass David H. bereits am Montagabend vernommen worden war und anschließend festgenommen werden sollte. Er sei aber aus dem Polizeirevier Pasewalk geflüchtet. Eine Fahndung nach ihm sei erfolglos geblieben.

Um 11.16 Uhr melden sich Polizei und Staatsanwaltschaft erstmals mit einer offiziellen Presseerklärung zu Wort. Demnach ist David H. tatverdächtig. Gegen ihn werde wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt, hieß es. In der Mitteilung schreiben die Behörden weiter: „Nach ersten Erkenntnissen der rechtsmedizinischen Untersuchung des Kindes und umfangreichen Ermittlungen der Kriminalpolizeiinspektion Anklam gibt es konkrete Hinweise auf Gewalteinwirkungen gegen das Kind, welche nicht mit einem von dem Beschuldigten behaupteten Sturzgeschehen in Einklang zu bringen sind.” Zu der Flucht von David H. heißt es lediglich: „Unmittelbar darauf (Anm. d. Red.: nach der Vernehmung) entzog er sich den weiteren polizeilichen Maßnahmen durch Flucht aus dem Polizeirevier.”

Später am Tag liefert die Polizei dazu spärliche weitere Informationen nach: „Der Tatverdächtige befand sich (bei der Flucht, Anm. d. Red.) nicht in Gewahrsam! Er saß in einer Vernehmungssituation (ungefesselt) in einem Büro, als ihm die vorläufige Festnahme verkündet wurde und floh sofort, bevor weitere Maßnahmen getroffen werden konnten.“

Am Dienstagnachmittag ist David H. immer noch auf der Flucht. Das Schweriner Innenministerium will prüfen lassen, wie es zu seinem Entwischen aus einem Polizeirevier kommen konnte. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) beauftragt das Polizeipräsidium in Neubrandenburg, seinem Ministerium einen „umfassenden Bericht vorzulegen, in dem die Situation, wie es zur Flucht kommen konnte, genauestens dargelegt und aufgeklärt wird”. Der 27-Jährige müsse schnellstens gefasst und eine Schwachstellenanalyse gemacht werden, um ähnliche Situationen künftig zu vermeiden, so Caffier.

Am später Nachmittag erreichen den Nordkurier neue brisante Informationen. Demnach hatte der leibliche Vater von Leonie bereits knapp ein Jahr vor Leonies Tod eine Anzeige gegen den Flüchtigen wegen Kindeswohlgefährdung gestellt. „Wegen der Entwicklung des Falles hat das Kreisjugendamt Vorpommern-Greifswald derweil ein anderes Kind der Familie zu seinem leiblichen Vater gebracht“, erklärt ein Kreissprecher. Die Mutter mit einem fünf Monate alten Kleinkind sei in einer Mutter-und-Kind-Einrichtung untergebracht worden.

Mittwoch, 16. Januar

„Verdächtiger David H. immer noch auf der Flucht“: Auch am Mittwoch ist David H. noch auf der Flucht. Laut Polizei konnte er trotz groß angelegter Suche in der Region Pasewalk/Torgelow nicht gefunden werden. Polizeisprecherin Nicole Buchfink vom Polizeipräsidium Neubrandenburg erklärt später zur Flucht in Pasewalk: „Etliche Beamte liefen ihm sofort hinterher, konnten ihn aber nicht einholen. Später verlor ein Fährtenhund die Spur des Flüchtigen im Bereich des Bahnhofs.”

Entgegen ersten Angaben, wonach der leibliche Vater von Leonie eine Anzeige wegen Kindswohlgefährdung gegen David H. und Leonies Mutter gestellt hatte, heißt es inzwischen vom Landkreis, dass damals eine Tante des Mädchens eine Anzeige gestellt habe, weil das Kind angeblich verletzt gesehen worden war. „Unsere Mitarbeiter haben damals mit der Mutter, Großmutter und der Kindereinrichtung gesprochen“, sagt Landkreissprecher Froitzheim. Zudem sei das Mädchen in der Einrichtung begutachtet worden. Dies habe ergeben, dass die Vorwürfe damals haltlos waren. Deshalb habe es keine weiteren Maßnahmen gegeben.

Leonies leiblicher Vater, Oliver E., sagt derweil in einem Radiointerview über seinen Sohn Noah-Joel, den dreijährigen Bruder von Leonie, der ebenfalls bei der Mutter Janine Z. und David H. in Torgelow lebte: „Der Kleine ist ebenfalls schwer verletzt. Im Gesicht. An den Oberarmen. Seine Nase ist gebrochen. Nachts wacht er jede Stunde auf, wimmert ‚aua, aua‘.”

Ebenfalls am Mittwoch erfährt der Nordkurier, dass bei der Obduktion der kleinen Leonie neben massiven Verletzungen am Kopf und im Gesicht sowie Frakturen an den Armen auch ältere Verletzungen festgestellt wurden. Dazu passen Augenzeugenberichte, die von Verletzungen berichten, die die kleine Leonie bereits früher erlitten haben soll. Und auch, dass das Kind seit Wochen nicht mehr in der Kita aufgetaucht sein soll.

Zudem wird klar, dass der Notarzt sofort geahnt haben muss, dass an der Schilderung von David H., dass das Mädchen erst kurz vorm Eintreffen des Rettungsdienstes am 12. Januar nach 19 Uhr die Treppe heruntergestürzt sein soll, etwas nicht stimmen konnte. Der Notarzt taxierte anhand von Leonies Körpertemperatur den Todeszeitpunkt auf 16.30 Uhr.

Donnerstag, 17. Januar

„David H. wird jetzt als Mörder gejagt“: Seit drei Tagen ist David H. nun auf der Flucht. Erst jetzt wird Haftbefehl erlassen. „Jetzt liegen uns alle notwendigen Ermittlungsergebnisse vor. Mehr sagen wir aber nicht”, heißt es am Donnerstagmittag von Ralph Burgdorf, Direktor des Amtsgerichts Pasewalk. Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg teilt derweil mit, dass der Haftbefehl wegen Mordes durch Unterlassen erhoben worden ist.

David. H. werde vorgeworfen, „den Tod des Kindes nach vorhergehenden Verletzungshandlungen erkannt und billigend in Kauf genommen sowie die erkennbar notwendigen Hilfemaßnahmen zur Vermeidung des Todes nicht ergriffen zu haben, um die eigenen Körperverletzungshandlungen zu verdecken”. Jetzt kann die Polizei auch endlich öffentlich nach David H. fahnden. Denn: Die öffentliche Fahndung nach Beschuldigten setzt voraus, dass ein Haft- oder Unterbringungsbefehl vorliegt.

Warum aber hat es eine halbe Woche gedauert, bis der Haftbefehl erlassen wurde? „Der Haftrichter hatte noch Bedenken und die Ermittlungsergebnisse detailliert ausgewertet”, sagt Oberstaatsanwältin Beatrix Heuer.

Am Donnerstag wird außerdem bekannt, dass die Polizei nun auch gegen die Mutter von Leonie ermittelt. Ihr wird laut Staatsanwaltschaft unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Sie wird später angeben, vom Todesdrama ihrer Tochter nichts mitbekommen zu haben, sie habe in einem anderen Zimmer Musik gehört. Derweil suchen die Beamten nach David H. noch ohne offizielles öffentliches Fahndungsfoto. Von der Staatsanwaltschaft heißt es, man habe beim Amtsgericht beantragt, mit Fahndungsfoto nach dem Verdächtigen suchen zu dürfen. Vor Freitag sei aber nicht mit einer Entscheidung zu rechnen.

Freitag, 18. Januar

„Öffentlichkeitsfahndung nach David H.“: Fast sechs Tage sind seit Leonies Tod vergangen, vier seit der Flucht von David H. Die Polizei hat endlich Fahndungsfotos und eine äußerliche Beschreibung des Tatverdächtigen veröffentlicht. Eine entsprechende Verfügung war zwar schon am Donnerstag vom Amtsgericht ergangen, über Nacht aber in der Poststelle gelegen.

Samstag, 19. Januar

„Polizei zahlt Belohnung bei Hinweisen“: Seit fünf Tagen ist David H. jetzt schon auf der Flucht. Konkrete Anhaltspunkte zum Aufenthaltsort des Verdächtigen im Mordfall Leonie gibt es nicht. Die Polizei wirkt hilflos und setzt nun eine Belohnung von 1000 Euro aus.

Montag, 21. Januar

„Mutmaßlicher Mörder von Leonie gefasst“: Eine Woche nach seiner Flucht aus dem Pasewalker Polizeirevier stellt eine Polizeistreife David H. auf der B109 zwischen Ducherow und Anklam. Der Mordverdächtige war dort in einem Auto mit seinem Anwalt unterwegs. Sie wollten offenbar zur Polizei, wo sich der 27-Jährige stellen wollte. Beim ersten Verhör allerdings schweigt er eisern.

Dienstag, 22. Januar

„David H. bestreitet Schuld an Leonies Tod“: Beatrix Heuer, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg, erklärt, David H. habe sich am Vortag doch noch zum Tod der sechsjährigen Leonie geäußert und eine Schuld bestritten.

An diesem Dienstagabend findet in der Torgelower Christuskirche eine erste Trauerfeier für die getötete Leonie statt. Die Kirche ist überfüllt, die Menschen stehen in den Gängen und sogar noch vor dem Gebäude, um Abschied zu nehmen. Auch Leonies leiblicher Vater ist da.

Donnerstag, 24. Januar

„Behörden verstecken Leonies Mutter samt Baby“: Leonies Mutter Janine Z. rückt immer stärker in den Fokus der Ermittler. Klar ist bisher nur, „dass weder der dringend tatverdächtige Stiefvater David H. noch Leonies leibliche Mutter zum Zeitpunkt des Eintreffens der Rettungskräfte unter Alkohol- und Drogeneinfluss standen”, sagt Polizeisprecherin Claudia Tupeit. Dass die Mutter vom schleichenden Tod ihrer Tochter – schließlich soll David H. dem Mädchen beim Sterben zugesehen haben – nichts mitbekommen hat, bezweifelt die Polizei.

Wo Janine Z. sich aufhält, weiß Tupeit nach eigenen Angaben jedoch nicht. Auch Achim Froitzheim, Sprecher des Landkreises Vorpommern-Greifswald, gibt an, nicht zu wissen, wo sich Janine Z. befindet. „Je kleiner der Kreis ist, der den Aufenthaltsort kennt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass er an die Öffentlichkeit kommt”, erklärt er.

In Wolgast findet an diesem Tag eine zweite Trauerfeier für Leonie statt. Hier lebte sie früher mit der Mutter und ihrem leiblichen Vater, der bis heute in Wolgast wohnt.

Donnerstag, 31. Januar

„Ermittlungen beim Jugendamt“: Beim Jugendamt kommt es zu internen und externen Ermittlungen. Im Visier steht die Awo Uecker-Randow, die an Leonies Todestag in Vertretung des Jugendamtes Bereitschaftsdienst hatte: Vorgeschrieben bei Alarmierungen ist das Vier-Augen-Prinzip und eine Inaugenscheinnahme des oder der betroffenen Kinder. Die zuständige Awo-Mitarbeiterin war jedoch an Leonies Todestag allein in der Wohnung in Torgelow und verließ sich wegen der hektischen Atmosphäre in der Tatortwohnung auf die Aussage einer Notfallseelsorgerin, dass die Kinder „gut versorgt” seien. Sie selbst schaute nicht nach ihnen. Der Awo-Geschäftsführer nimmt seine Mitarbeiterin jedoch in Schutz: „In der Wohnung herrschte der absolute Ausnahmezustand.”

Samstag, 2. Februar

„Viele Tränen bei Beerdigung von Leonie in Wolgast“: Drei Wochen nach ihrem Tod wird die kleine Leonie in Wolgast beigesetzt. Die Mutter des Mädchens, Janine Z., ist nicht dabei.

Drei Wochen nach der Flucht von David H. aus dem Pasewalker Polizeirevier werden derweil – für die Polizei recht peinliche – Einzelheiten bekannt. „Der war verdammt schnell“, sagt Polizeisprecherin Claudia Tupeit. Nach 300 Metern Verfolgung zu Fuß machten die Polizisten schlapp, die Spur des mutmaßlichen Kindermörders verlor sich in der Dunkelheit. Waren die Beamten nicht fit genug?

Freitag, 29. März

„Kommt David H. bald aus dem Gefängnis?“: Der Anwalt des mordverdächtigen David H., Bernd Raitor aus Wolgast, hat einen Haftprüfungstermin vor dem Amtsgericht Pasewalk beantragt: „Ich sehe bei meinem Mandanten keinen dringenden Tatverdacht. Seine Erklärungen sind schlüssig.“ David H. habe ausgesagt, Leonie sei mit dem Puppenwagen die Treppe hinuntergestürzt. Auch für ihr blaues Auge habe der Tatverdächtige eine Erklärung. Der Anwalt: „Das passierte beim Spielen mit anderen Kindern. Leonies Mutter bestätigt das.

Donnerstag, 4. April

„Leonies Mutter belastet David H. schwer“: Leonies Mutter, Janine Z., belastet David H. bei einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg schwer. „Nach ihren Angaben soll er das Mädchen geschlagen haben“, sagt Anwalt Bernd Raitor und zieht den Antrag auf Haftprüfung zurück

Mittwoch, 10. April

„Mutter von getöteter Leonie zurück am Tatort“: In der Wohnung in Torgelow, in der Leonie starb, wird versucht, die Geschehnisse möglichst genau nachzustellen. Auch Leonies Mutter Janine Z., der mittlerweile „Fahrlässige Tötung durch Unterlassen“ vorgeworfen wird, ist vor Ort. Tags darauf wird bekannt, dass Leonie womöglich in Folge eines Beziehungsstreits starb. Mutter Janine Z. soll wenige Tage vor dem Tod ihrer Tochter Stiefvater David H. gesagt haben, dass sie sich von ihm trennen wolle. „Während des Streits verlor David H. dann völlig die Fassung und verletzte Leonie so schwer, dass sie wenig später an den Verletzungen starb”, so Anwalt Falk-Ingo Flöter aus Wolgast, der Leonies leiblichen Vater Oliver E. vertritt.

Freitag, 21. Juni

„David H. kommt vor Gericht“: Mehr als fünf Monate nach dem Tod Leonies hat die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg die Ermittlungen gegen David H. abgeschlossen und erhebt Anklage. Offiziell ist zwar noch nichts – aber nach Recherchen des Nordkurier muss sich der Stiefvater der sechsjährigen Leonie wegen „Mordes durch Unterlassen“ vor dem Landgericht Neubrandenburg verantworten.

Mittwoch, 10. Juli

„Landgericht Neubrandenburg lässt Anklage gegen David H. zu“: Wie eine Behördensprecherin erklärt, werden dem zur Tatzeit 27 Jahre alten Mann „Mord durch Unterlassen” und sieben Fälle der Misshandlung von Schutzbefohlenen vorgeworfen. Das Landgericht Neubrandenburg, vor dem der Prozess stattfinden soll, habe die Anklage zugelassen. Der Beschuldigte soll den Tod des Mädchens verschuldet sowie Leonie und ihren kleineren Bruder vorher mehrfach misshandelt haben.

Der Prozess

David H. muss sich ab Dienstag vor dem Schwurgericht Neubrandenburg wegen Mord durch Unterlassen verantworten. Bis zum 21. November hat das Gericht insgesamt 13 Verhandlungstage angesetzt. Fast 40 Zeugen sollen gehört werden. Da umfangreiches Beweismaterial vorliegt, ist nicht ausgeschlossen, dass das Verfahren möglicherweise noch länger als nun vorläufig datiert andauern könnte.