DDR-Nostalgie
„Wir Ossis haben uns in zwei Systemen behauptet“
Eggesin / Lesedauer: 5 min

Nordkurier
Würden Sie sich als Ossi bezeichnen?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin gern Ossi und stolz darauf. Ich fühle mich mit der Bezeichnung nicht abgestempelt, im Gegenteil: Wir Ossis haben uns in zwei Systemen behauptet. Für mich haben die Begriffe Ossi und Wessi keine spaltende Komponente.
Inwiefern haben Ostdeutsche von 40 Jahren DDR-Erfahrung „profitiert“?
Das Buch zeigt, wie gut die Menschen in Ostdeutschland darin waren, Herausforderungen zu bewältigen. Der Materialnot beim Hausbau begegneten sie mit Improvisationstalent, die eingeschränkte Bekleidungsauswahl motivierte sie zu Kleidungsstücken Marke Eigenbau, und Autopannen wurden auch mal mit einer Feinstrumpfhose gelöst. Wir sollten uns auf unsere Flexibilität, unseren Lebensmut und Optimismus besinnen.

Was ist die kurioseste Geschichte in Ihrem Buch?
Ich habe für die Entstehung des Buches mit vielen Leuten gesprochen und mittlerweile gibt es bei den Lesungen ein Bilderrätsel, bei dem die Zuhörer erraten müssen, welchen Zweck die selbstgebauten Dinge erfüllt haben. Ich muss jedes Mal lachen, wenn ich an einen weißen Kasten denke, an dessen Ende ein Toilettenpömpel befestigt ist, der in eine Waschschüssel führt. Diese Selbstbaugeschichten sind oft kurios fantastisch.
Gibt es ein DDR-Produkt, das Sie wirklich vermissen?
Eigentlich nicht. Gott sei Dank werden die meisten guten Sachen ja weiter produziert. Auf meiner Hitliste steht Letscho ganz oben, als Grundlage für eine leckere Nudelsoße.
Was ist Ihr liebster Ossi-Witz?
Da gibt es viele, schön kurz finde ich aber: „Gehen zwei Stecknadeln die Straße entlang. Sagt die eine zur anderen: Kennst du schon den neuesten Honecker-Witz? Sagt die zweite: Nein, aber erzähle lieber leise, hinter uns geht eine Sicherheitsnadel.“
Sind Sie als Ostdeutscher je mit Vorurteilen konfrontiert worden?
Ehrlich gesagt, soweit ich mich an die letzten 34 Jahre erinnern kann, nicht böswillig. Als ich anfing, als Journalist zu arbeiten, haben einige Leser, die nur meine Texte und Schreibe kannten, vermutet, ich sei ein Wessi. Das ist doch ein gutes Zeichen, dass es DEN Ossi oder Wessi vielleicht gar nicht gibt.
Wo waren Sie am Tag des Mauerfalls? Was waren Ihre ersten Gedanken?
Ich war im Lehrerpraktikum in Proseken, einem kleinen Dorf bei Wismar, und habe mir eine Kellerwohnung mit einem Studienkollegen geteilt. Ich konnte nicht gleich in den Westen aufbrechen, obwohl Lübeck ja nicht weit weg war, denn ich musste am nächsten Tag in die Schule. Mein Mitbewohner hat allerdings gleich den Koffer gepackt, mit den Worten: „Ich mache gleich rüber, wer weiß, wann sie wieder dichtmachen.“
Den großen Umbruch habe ich erst später realisiert, als mir klar wurde, dass die Grenze glücklicherweise offenbleibt. Dann habe ich die DDR Ende 1989, Anfang 1990 quasi im Staatsbürgerkundeunterricht abgewickelt und den Schülern anhand der Auflösung der Institutionen wie dem SED-Politbüro, dem Zentralkomitee oder dem Ministerrat den Niedergang der DDR erklären können.
Halten Sie die aktuelle Ost-West-Debatte für konstruktiv?
Ich finde es schade, dass sich derzeit die Fronten wieder verhärten. Und ich halte die Kritik an den Medien, die ein einseitiges Bild der DDR zeichnen würden, in Teilen für übertrieben. Ich glaube, wir beim Nordkurier haben uns immer bemüht, die Erlebnisse der Menschen im Kontext der Geschichte zu erzählen. Die verschiedenen Lebenswege müssen anerkannt werden, denn erst die Vielfalt der Biografien macht letztendlich die DDR aus.
Glauben Sie an ein baldiges Ende der Debatte?
Ich gehe davon aus, dass die Schärfe in der Debatte irgendwann ein Ende haben wird. Mein 19-jähriger Sohn sagt oft: „Was ziehst du immer mit Deinen alten Geschichten los, wen interessiert das denn?“ Das zeigt, dass der Streit auch eine Generationenfrage ist.
Treffen die folgenden Klischees über Ossis auf Sie zu?
Ostdeutsche meckern nur.
Nein, ich bin kein Meckerkopp.
Ostdeutsche sind arbeitsscheu.
Die Frage müssten Sie meinem Chef stellen. Aber ich würde behaupten, außer im Haushalt bin ich einigermaßen fleißig.
Ostdeutsche sind Sensibelchen und neigen zu Überreaktionen.
Vielleicht, wenn ihre Lebensläufe verfälscht dargestellt werden und die DDR in die Tonne getreten wird, aber ansonsten sind wir Ossis eigentlich sehr leidensfähig, weil wir viel aushalten mussten.
Ostdeutsche ziehen in der Wohnung immer die Schuhe aus.
Früher, kurz nach der Wende, habe ich das auch gemacht, mittlerweile betrete ich fremde Wohnungen mit Schuhen.
Ostdeutsche trinken ihr Bier zimmerwarm.
Nein, ich trinke am liebsten kaltes Bier.
Ostdeutsche lassen Eltern in ihrer Wohnung übernachten und schicken sie nicht ins Hotel um die Ecke.
Solche Kinder gibt es wirklich? Bei uns kann jederzeit jemand übernachten, sonst würde es ja ins Geld gehen.
Ostdeutsche hören zu Weihnachten Frank Schöbels „Weihnachten in Familie“ und nicht „Last Christmas“ von Wham.
Bei uns läuft auch Frank Schöbel, aber unsere neuen Lieblings-CDs sind Weihnachten mit Helene Fischer oder alte amerikanische Christmas-Klassiker, mit denen meine Frau meine Nerven strapaziert.
Frank Wilhelm und seine Frau Kerstin Fiedler-Wilhelm stellen das Buch „Einfach total genial ...“ am 23. November um 19 Uhr in Eggesin (Pension Bartelt) sowie am 28. November um 19 Uhr in Fürstenwerder (Rasthaus Guter Hirte) vor.
Das Buch „Einfach total genial ... Warum wir Ossis nicht zu bremsen sind“ ist erschienen im Nordkurier-Buchverlag mecklenbook. 196 Seiten, zahlreiche Karikaturen von Andreas Meenke sowie Fotos. 14,95 Euro