Urlaubsinsel ohne Gäste
Corona bringt Usedomer Hotelierfamilie mehr Stornierungen als Reservierungen
Trassenheide / Lesedauer: 6 min

Ralph Sommer
Still liegt das mittelständische Familienhotel Kaliebe im Usedomer Küstenwald. Die Parkplätze sind verwaist. Im Wintergarten, wo für gewöhnlich morgens das Frühstück serviert wird, steht eine Tischtennisplatte, an der die Familie jetzt manchmal Pingpong spielt. Die Stühle im Speisesaal hat das Hotelteam übereinandergestapelt. Auf einem der frei stehenden Tische stehen Unmengen von Geschirr. Hin und wieder üben hier die Azubis das Servieren.
Wie alle Beherbergungsunternehmen im Land hat auch das beliebte Urlaubshotel, nur wenige Hundert Meter vom Ostseestrand entfernt, seit einer Ewigkeit wegen der Corona-Pandemie geschlossen. 178 Tage lang keine Einkünfte, das Personal auf Kurzarbeit Null, die Vorräte eingedampft.
„Wir planen erst mit dem 1. August”
Noch bis vor wenigen Tagen hatte in Vorpommern so mancher Hotelier gehofft, dass nach dem vermasselten Osterfest wenigstens die Pfingstfeiertage gerettet werden könnten und in drei Wochen vorsichtig geöffnet werden darf. Inhaber Torsten Kaliebe schüttelt den Kopf. „Heute glaubt daran hier keiner mehr“, sagt er. „Wir planen konservativ erst mit dem 1. August. Gerne früher, denn jeder Tag zählt, aber wirklich dran glauben, kann ich nach diesem ganzen politischen Chaos nicht mehr.“
Tatsächlich erst so spät? Selbst wenn die Landesregierung wie vor einem Jahr zunächst erst einmal Urlaub für Einheimische erlauben würde, Kaliebe würde das nicht noch einmal tun. Damals habe man auch Hygieneabläufe geübt, doch da seien gerade mal 16 Gäste im Haus gewesen, erinnert sich der 49-Jährige. „Da hast Du viel mehr Kosten als Einnahmen.“
Silvester 2021 ist seit Monaten ausgebucht
An der Rezeption sitzt seine Frau Colette. Der Schlüsselkasten ist komplett gefüllt – kein einziges Zimmer ist belegt. Zu tun hat Colette Kaliebe trotzdem. Immer wieder rufen Stammgäste an, fragen, ob man schon buchen kann. Manche zeigten sich solidarisch, bieten Vorkasse an. Doch die Rezeptionschefin nimmt nur kostenfreie Vorbuchungen entgegen.
Ein Blick in den Computer zeigt: Die Nachfrage ist noch immer ungebrochen. Für das Herrentagswochenende und die Pfingstfeiertage sind die 35 Zimmer, 8 Ferienwochen und 6 Blockhäuser gut gebucht. Und auch für die Hochsaison bis in den Spätherbst hinein fragen die Kunden an. Silvester ist schon seit Monaten komplett ausgebucht. Doch mit jeder Lockdown-Verlängerung müssen bereits gebuchte Reservierungen wieder abgesagt werden.
Mit jeder neuen Inzidenzmeldung aus dem Landkreis Vorpommern-Greifswald schwindet die Hoffnung auf eine baldige Öffnung. „Im Moment stornieren wir mehr, als wir Reservierungen annehmen“, sagt der Hotelchef.
Normalerweise sind mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt
Gleich nach der Wende hatte die Trassenheider Familie Kaliebe das schon zu DDR-Zeiten von ihnen verwaltete einstige Betriebsferienheim vom Land gekauft, Kredite aufgenommen und als eine der ersten Investoren auf Usedom ein kleines, aber feines Sterne-Hotel eröffnet. Seitdem wurde immer wieder saniert, ausgebaut, modernisiert.
Mindestens vier bis fünf Millionen Euro, schätzt Kaliebe, flossen in den vergangenen drei Jahrzehnten in den Ausbau. Nach dem Umbau des als Kinderferienlager genutzten Hauses wurden gemütliche Blockhäuser im Küstenwald errichtet. Es entstanden eine Sauna, eine Bar, und 2001 wurde sogar eine ganze Etage aufgestockt. Neben den in der Branche üblichen regelmäßigen Erneuerungen wurde in einen großen Kamin und einen weitläufigen Wintergarten investiert.
Heute beschäftigen Torsten Kaliebe, seine Frau Colette und seine Eltern Karin und Helmut mehr als 20 Mitarbeiter. Fast alle von ihnen sind zu Hause, beziehen Kurzarbeitergeld. Nur die Rezeption und drei Kollegen sind als Hausmeister derzeit stundenweise im Haus mit Wartungsarbeiten beschäftigt.
Hotelchef hat keine Angst um das Stammpersonal
Die Zimmer wurden teilweise neu gestrichen und in den Sanitärräumen die Silikonfugen erneuert. Derzeit werden die Waldbungalows abgeschliffen und neu konserviert, die Außenanlagen gepflegt, Heizungs- und Lüftungsanlage sowie Wasserversorgung gewartet. Und zweimal in der Woche kommen zur Ausbildung die beiden neuen Azubis, die kurz vor der Schließung noch eingestellt worden waren.
Die beiden Lehrlinge sind ein Beleg dafür, dass die Kaliebes ganz fest an eine Zukunft des Hotels glauben. Andere Hoteliers bangen dagegen, ob ihre Angestellten nach so einer langen Auszeit überhaupt wieder ihren Job bei ihnen antreten werden. „Ich glaube nicht, dass bei uns jemand abspringt“, sagt Torsten Kaliebe. „Wir haben eine loyale Stammcrew, die schon seit Jahren bei uns tätig ist, stehen auch jetzt in telefonischem Kontakt zueinander.“
14 Tage Vorlauf zum Hochfahren nötig
Viel problematischer dürfte sein, dass die Hotellerie nach über einem halben Jahr gar nicht so schnell wieder in die Puschen kommen könne, wie sich das die Landesregierung vorstelle. „Wir brauchen mindestens 14 Tage, um wieder hochzufahren.“ Zunächst stehe eine Grundreinigung an. Dann müssten die mittlerweile geleerten Lager wieder aufgefüllt werden. Denn ein Großteil der Waren drohte abzulaufen. Ein Teil musste schon vernichtet werden. Selbst der Rest der eingefrorenen Ware oder Getränke mit überzogenem Ablaufdatum dürfen nicht mehr an Gäste verkauft werden.
Wird der Großhandel dem Ansturm gewachsen sein?
Kaliebe fürchtet, dass der Großhandel dem Ansturm kaum gewachsen sein wird, wenn das Gastgewerbe kurzfristig wieder an den Start gehen darf. Die Nachfrage so kurz vor der Hochsaison werde riesig sein. „Ich bezweifle, dass zum Beispiel die Brauereien dann schon genügend Fassbier für alle haben werden“, sagt Torsten Kaliebe.
Der Unternehmer kritisiert, dass das Hotelgewerbe „völlig aus dem Fokus der Politik geraten“ sei. Das habe auch auf manchen potenziellen Gast abgefärbt. In Telefongesprächen habe er oft den Satz gehört, dass die Hoteliers ja Hilfen und Unterstützung bekämen. Doch die Verluste seien viel höher, und man wisse jetzt auch noch nicht, was man an Fixkosten wieder zurückzahlen müsse, beziehungsweise wie das dann verrechnet werde, da man die Kosten schon bis 30. Juni schätzen müsse.
„Die Gastronomie wird es vermutlich hart treffen“
Über mehrere Monate, sagt Kaliebe, könne er die vier, jetzt noch arbeitenden Angestellten nicht mehr halten, da schlicht und einfach das Geld fehle und die Arbeit ausgehe. Und selbst, wenn die Öffnung vielleicht schon im Juli käme, werde die Zeit kaum mehr ausreichen, dass alle Mitarbeiter in der Saison ausreichend Überstunden ansammelten, um die weniger vorhandene Arbeit im Winter auszugleichen.
Im Moment ist die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. „Aber ich glaube nicht, dass alle Hotels in der Urlauberregion Vorpommern es schaffen werden. Die großen ja – da stecken oft Banken oder Großinvestoren dahinter, aber manch kleiner Betrieb könnte auf der Strecke bleiben“, fürchtet Kaliebe. Besonders die Gastronomie werde es vermutlich hart treffen. Schon jetzt hätten die ersten Kneipen und Lokale aufgegeben. „Im Netz wird bereits zunehmend gebrauchtes Gastronomiemobiliar zum Kauf angeboten.“
Nur noch Vollpension?
Das Gastgewerbe nach Corona werde ein anderes sein als vor der Pandemie, glaubt Kaliebe. „Es wird nicht mehr so viele offene Kneipen geben.“ Auch deshalb, weil die Hotels künftig mehr als bisher ihre Hausgäste an sich binden würden, um sich ihr Personal halten und langfristig planen zu können. „Da wird es wohl bald fast nur noch Vollpension geben.“