Ostsee-Therapie
▶ Europas erster Kinderheilwald steht auf der Insel Usedom
Heringsdorf / Lesedauer: 4 min

Dajana Richter
„Wenn die Kinder rausgehen und glücklich sind, dann hat man das Beste getan.“ Mit diesem Zitat des Kinderbuchautoren Paul Maar begrüßte die Heringsdorfer Bürgermeisterin Laura Isabelle Marisken zahlreiche Gäste aus Wirtschaft und Politik, darunter auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Landwirtschaftsminister Till Backhaus (beide SPD), zur Eröffnung des ersten Kinderheilwaldes in Europa am Montag. Ganz bewusst habe man für diesen besonderen Tag den Weltkindertag gewählt. Denn der Tag der Kinder beinhalte auch die Aufgabe und Verantwortung an die Erwachsenen, sich um das Wohlergehen und die Zukunft der Jüngsten zu kümmern. Genau dabei soll der Kinderheilwald in Heringsdorf unterstützen.
Kosten von 120.000 Euro
Insgesamt hat dieses Gesundheitsprojekt 120.000 Euro gekostet, 85 Prozent davon förderte das Land. Sie sei stolz, so Marisken, dass es auch der Gemeinde selbst gelungen sei, ihren Eigenanteil zu stemmen – trotz aller Corona-Unsicherheiten und finanziellen Einbußen in den vergangenen Monaten. Denn eigentlich hätte fast jede geplante Investition gestrichen werden müssen. Für die Umsetzung des Kinderheilwaldes entschied sich die Gemeindevertretung dennoch – ohne auch nur eine Gegenstimme.
Die Gesundheit von Kindern ist in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus gerückt. Denn mit der Digitalisierung verbringen viele ihre Freizeit lieber vor dem Computer oder Smartphone, statt sich draußen an der frischen Luft zu bewegen. Für ihre Gesundheit hat dies teils drastische Folgen. Immer mehr Kinder leiden bereits unter Rückschmerzen, krankhaftem Übergewicht, Depressionen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Der Kinderheilwald will diesem Trend entgegenwirken. Das besondere Klima aus einer Mischung von Wald- und Seeluft bietet dafür ideale Voraussetzungen.
Schaukeln, klettern, im Moos liegen
Wälder gelten von jeher als „Grüne Apotheke“, denn ihnen wird ein erhebliches Potenzial für die Prävention von Krankheiten und die Förderung der Gesundheit zugeschrieben. Mecklenburg-Vorpommern ist Vorreiter auf dem Gebiet der therapeutischen Nutzung von Wäldern. Dies ist vor allem Horst Klinkmann zu verdanken. Der Rostocker Medizinprofessor war der entscheidende Wegbereiter für den allerersten Kur- und Heilwald überhaupt, der bereits 2016 in Heringsdorf eröffnet wurde. Er hatte einst diese Idee, entwickelte sie stetig weiter und trug sie hinaus in die Welt. Heute ist er Präsident der Waldgesellschaft für Waldtherapie, der mittlerweile 17 Nationen angehören.
Nach dem Kur- und Heilwald für alle ist nun also auch ein Platz geschaffen worden, der sich speziell der Kindergesundheit widmet. Wissenschaftlich wurde das Projekt von Karin Kraft begleitet, Direktorin des Lehrstuhls für Naturheilkunde an der Universitätsmedizin Rostock und eine Koryphäe auf dem Gebiet. In den vergangenen Wochen wurden rund um den historischen steinernen Tisch naturbasierte Therapieplätze errichtet, an denen die Kinder schaukeln, klettern oder einfach nur im Moos liegen können. Ganz egal wie, Hauptsache die Natur kann mit allen Sinnen erlebt werden. An die Hand genommen werden die Besucher an den insgesamt 13 Stationen von Waldgeist Theo, dem Maskottchen des Kinderheilwaldes. Er erklärt auf Schautafeln, was dort zu tun ist und welcher Trainingseffekt damit erzielt wird.
Zunächst geht es um die Sinneswahrnehmung in Form von Atem- und Augenübungen. Anschließend kann beim Klangbaum jeder seine eigene Waldmusik komponieren. Treffsicherheit ist bei der Wurfstation gefragt, wo kleine Steinchen oder Kienäpfel durch bunte Ringe geworfen werden müssen. Wer den Wald hautnah, unter seinen nackten Füßen, spüren möchte, ist beim Wald-Barfußweg gut aufgehoben.
Kinderheilwald hat schon Nachahmer
Das absolute Highlight ist aber die lange Mut-Treppe, die unter anderem eine Förderung der motorischen Entwicklung zum Ziel hat. Hier darf nach Herzenslust geklettert und balanciert werden, erst runter, dann wieder rauf. Dabei gilt es einen Höhenunterschied von zehn Metern zu überwinden. Wie gut, dass danach das Schaukelnest unter Bäumen nicht weit entfernt ist. Hier kann man in Ruhe durchschnaufen und dabei den Blick in die Baumkronen genießen.
Dass Heringsdorf mit dem Kinderheilwald übrigens einen neuen Trend gesetzt hat, der schnell Nachahmer findet, wird auch daran deutlich, dass nur wenige Stunden nach dem Seeheilbad an der Ostsee auch in Lahnstein in Rheinland-Pfalz ein zweiter Kinderheilwald eröffnet wurde – nach Usedomer Vorbild. Es scheint also zukünftig erneut ein Exportschlager in die Welt hinaus werden zu können. Startpunkt für einen Besuch des Kur- und Heilwaldes, aber auch des Kinderheilwaldes, ist die Heringsdorfer Grundschule im Gothener Landweg.