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Jahresrückblick

Langsam, dann gewaltig – Das Kulturjahr 2022 in Vorpommern

Vorpommern / Lesedauer: 3 min

Langsam, aber gewaltig kam das vorpommersche Kulturjahr 2022 in Schwung. Gestartet in einem lähmenden Lockdown, holte es vieles nach, was zuvor die Pandemie ausgebremst hatte – und bot noch einiges mehr.
Veröffentlicht:25.12.2022, 15:16

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Auf diese Art von Zugabe hätten alle gern verzichtet: Mit einer definitiv unwillkommenen Wiederholung begann das Kulturjahr 2022 im Nordosten; mit erneut Lockdown-bedingt geschlossenen Kulturstätten; mit erneutem Unmut über die Ungleichbehandlung verschiedener Lebensbereiche, von denen die – nie als Pandemietreiber aufgefallene – Kulturbranche erneut am längsten auf Wiederbelebung warten musste. „Entwöhntes“ Publikum zurückzugewinnen, erweist sich bis heute als schwieriges Erbe jener Zeit.

Dieser Herausforderung indessen stellen sich die Gastgeber mit großem Enthusiasmus. Allen voran der wohl umtriebigste Kulturbetrieb der Region, die Vorpommersche Landesbühne mit einem halben Dutzend Spielstätten. Nach zwei Corona-bedingt publikumsgeschmälerten Jahren fanden gerade die Open-Air-Produktionen in Wolgast und Zinnowitz zu gewohnter Lebendigkeit und Strahlkraft. Als Autoren und Regieteam der Vineta-Festspiele stiegen die jungen Theaterleiter Anna Engel und Andreas Flick auch auf diesem Gebiet in die großen Fußstapfen des langjährigen Intendanten Wolfgang Bordel, der sich von einem schweren Sturz erst langsam wieder erholte. Sein plötzlicher Tod am 28. Oktober wurde weithin mit Bestürzung und tiefer Trauer aufgenommen. Hunderte Menschen erwiesen dem leidenschaftlichen Theatermann bei einer Trauerfeier in Anklam die letzte Ehre.

Ein Nachruf:Wolfgang, Du fehlst schon jetzt!

Ausverkaufte Konzerte trotz hoher Ticketpreise

Der überregional Aufsehen erregendste Coup des vorpommerschen Kulturjahres gelang dem Usedomer Musikfestival, das – außerhalb seiner angestammten herbstlichen Konzertsaison – ein Weltklasse-Orchester nach Vorpommern gelockt hatte: Auf seiner ersten Auslandstournee seit Beginn der Pandemie kam das New York Philharmonic auf die Ostseeinsel. Zum 20-jährigen Bestehen der friedenstiftenden Peenemünder Konzerte sorgte es in der Turbinenhalle der einstigen Heeresversuchsanstalt trotz „standesgemäß“ hoher Ticketpreise für ausverkaufte Konzerte mit hochkarätigen Solisten wie dem Pianisten Jan Lisiecki, Star-Violinistin Anne-Sophie Mutter und Bariton Thomas Hampson. Weitere Akzente setzten die Festivalmacher von der Insel übers Jahr mit den Usedomer Literaturtagen samt Literaturpreis-Ehren für die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk, dem Fokus des Musikfestivals auf Estlands Kultur und Geschichte sowie den Tagen Jüdischer Musik.

Überhaupt erwies sich Vorpommern immer wieder als beliebtes „Pflaster“ für Festivals. Das kann auch Konflikte zwischen gar zu ausschweifend Feiernden und genervten Einwohnern heraufbeschwören, wie es in Broock oder Tutow geschah. In vielen anderen Fällen brachten Festivals willkommene Belebung in die Kulturlandschaft: vom Klassiker „Nordischer Klang“ in Greifswald, der in diesem Jahr der Insel Åland gewidmet war, bis zum innovativen Detect Classic Festival der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, das auf Schloss Bröllin bei Pasewalk stattfand.

Auch der Nordkurier setzte nachhaltige Zeichen mit der Reihe „Stadt.Land.Klassik!“ in Zusammenarbeit mit der Neuen Philharmonie sowie dem Format „Dorf Kirche klingt“, das den ganzen Sommer lang reizvolle Sonntagnachmittagskonzerte in ebenso reizvolle vorpommersche Kirchen brachte.

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Kulturelle Initiativen auch von Einwohnern

Bei der Vergabe der Kinokulturpreise Mecklenburg-Vorpommern, die landesweit jedes Jahr hochwertige Jahresprogramme würdigen, ging der Spitzenpreis bei nichtgewerblichen Spielstätten an den Greifswalder Filmclub Casablanca, im Bereich der kommerziellen Filmtheater wurden unter anderem das Kino-Center Anklam und das Clubkino Zinnowitz ausgezeichnet.

Dass kulturelle Initiative und Klasse keineswegs an großstädtisches Umfeld gebunden ist, zeigen auch die durch Einwohner-Engagement entstandene Torgalerie in Rothenklempenow, das Till Richter Museum in Buggenhagen mit seinen international besetzten Ausstellungen, die Dorfresidenzen und Kulturlandschauen des Kulturlandbüros Uecker-Randow oder auch die in deutsch-polnischer Kooperation entwickelte App „Visit Bröllin“, die für Nutzer in Vorpommern und Polen als „grenzüberschreitender  Eventkalender und ein interaktiver Fremdenführer“ wirken soll. Deren Initiatoren ebenso wie all die anderen Kultur-Anbieter im Land dürften sich einig sein in der Hoffnung, der Erwartung, dem Ehrgeiz, im neuen Jahr vom ersten bis zum letzten Tag für ihr Publikum da sein zu können.