Handwerk stirbt aus

Liebeserklärung an die letzten Fischer an der Ostsee

Vorpommern / Lesedauer: 4 min

Wer in Vorpommern einen Fischer bei der Arbeit erleben möchte, muss sich sputen. Das Handwerk stirbt aus. Ein neues Buch hält die Geschichten der letzten Fischer fest.
Veröffentlicht:24.10.2021, 07:11
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  • Author ImageRalph Sommer
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Dieses Buch kommt genau zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt. Besser gesagt zu einer Unzeit. Nachdem schon vor zwei Jahren die beiden Autoren Franz Bischof und Jan Kuchebecker mit einem aufwändigen Bildband („Seesucht“) die letzten deutschen Ostseefischer porträtiert hatten, legen nun die Fotografin Iwona Knorr und die Autorin Simone Trieder mit einem lesenswerten Essay-Band über Vorpommerns aussterbende Fischerzunft nach.

„Hering, Aal und Beifang – Fischer auf Rügen, Fischland und Darß“ heißt die soeben vom Mitteldeutschen Verlag herausgegebene Veröffentlichung, die leider die wenigen letzten Fischerkollegen der Insel Usedom ausspart.

Neue Quoten als Todesstoß?

Der Marktauftritt dieses Buchs fällt ziemlich genau zusammen mit einer Hiobsbotschaft aus Brüssel, die von den Zeitungen als Todesstoß für die Berufsfischerei an der Ostsee kommentiert wurde. Denn der EU-Ministerrat hat für das kommende Jahr erneut die Fangquote für die Hauptfischarten Hering und Dorsch massiv gesenkt. Damit habe die EU die Dorsch- und Heringsfischerei in der westlichen Ostsee beerdigt, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Fischereiminister Till Backhaus (SPD). Voraussichtlich Ende Oktober will sich der Landesverband der Kutter- und Küstenfischer auflösen.

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Die meisten jener Männer, die jahre- und jahrzehntelang allmorgendlich mit ihren Kuttern hinaus aufs Meer fuhren und deren Geschichten die beiden Autorinnen in Wort und Bild festhielten, dürften jetzt vor der existenziellen Entscheidung stehen, ob sie ihren krisengeschüttelten Job für immer aufgeben müssen.

Zahl der Berufsfischer ist drastisch gesunken

Das langsame Sterben der sogenannten stillen Küstenfischerei in Vorpommern deutete sich schon seit vielen Jahren an, wie die Autorinnen feststellen. „Fischerdörfer verwandelten sich in Feriensiedlungen, Yachten ersetzten die Kutter in den Häfen und Holzboote wurden in den Vorgärten zur Dekoration abgestellt.“ Die Zahl der Berufsfischer in Mecklenburg-Vorpommern habe in den letzten 30 Jahren dramatisch abgenommen. Gab es 1990 an der ostdeutschen Küste noch 1390 Fischer im Haupterwerb, so waren es zehn Jahre später nur noch 450. Heute zählt ihr Berufsverband gerade noch knapp 100 Fischer.

Nass, dreckig, stinkig, aber sein eigener Herr

Fast ein Drittel von ihnen haben Iwona Knorr und Simone Trieder getroffen und mit Einfühlungsvermögen, Beharrlichkeit und Sympathie ihr Vertrauen erworben. Sie durften an ihrer Arbeit teilhaben, haben sich ihre Familiengeschichten angehört, ihre Begeisterung für ihren Job und ihre beruflichen Sorgen erfahren. Zum Beispiel Stefan Dade aus Althagen. „Die Arbeit ist körperlich schwer“, wird der Fischer zitiert. „Berufskrankheiten sind Gicht, Rheuma und Rücken. Du bist ständig nass, dreckig und stinkst. Aber man ist sein eigener Herr.“

Ungeschminkte Fotos

Mit einem Augenzwinkern werden die Wortkargheit der pommerschen Fischer und ihre Zurückhaltung, die manchmal bis an Sturheit grenzt, geschildert. Der Leser ahnt, dass es nicht einfach gewesen ist, mit so manchem raubeinigen Zeitgenossen ins Gespräch zu kommen. Die Segler unter ihren Freunden hätten ihr gesagt, das kannst du dir aus dem Kopf schlagen, das Mitfahren beim Fischen, die Fischer denken, das bringt Unglück, eine Frau an Bord, schreibt Trieder. Doch im Laufe der Zeit muss es ihr und ihrer Kollegin gelungen sein, den Fischern bei der Arbeit, an Land, auf dem Meer und im Bodden ganz nah zu sein, wie die stilsicheren, ungeschminkten und sehr authentisch wirkenden Fotos beweisen.

Ohne die alte Mütze „fischt es nicht”

In den Gesprächen erfuhren sie so manche Eigenheiten. Zum Beispiel, dass ein Fischer stets eine Fischschuppe im Portemonnaie haben sollte. Und auch Uwe Pagel aus Prerow hält an einer alten Tradition fest, nämlich die alte Fischmütze aufzulassen: „Kaufst du eine neue, dann fischt es nicht. Das hat mein Vater immer gesagt. Der hat die voll Schuppen gehabt, die Mütze. Er hat immer gesagt, die wird nicht gewaschen, die bleibt so.“

Das Buch ist eine Liebeserklärung an ein aussterbendes Handwerk.

„Hering, Aal und Beifang – Fischer auf Rügen, Fischland und Darß“ von Iwona Knorr und Simone Trieder. Es ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen (ISBN: 978-3-96311-549-3143, 144 Seiten, zahlreiche Farbfotos, 18 Euro).