Gesundheit

Medizinischer Notstand auf Usedom – DDR-Klinik gefordert

Heringsdorf / Lesedauer: 4 min

Der Insel Usedom droht ein Ärztemangel. Urlauber und Anwohner demonstrierten bereits für Lösungen. Es gibt sogar Vorschläge. Die Landesregierung hat aber offenbar kein Interesse.
Veröffentlicht:14.09.2023, 05:29

Von:
  • Ralph Sommer
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In der Hochsaison müssen Einheimische, Urlauber und polnische Arbeitnehmer in den zehn Arztpraxen der Usedomer Kaiserbäder lange Wartezeiten bis zu ihrer Behandlung auf sich nehmen. Weil viele Ärzte kurz vor dem Ruhestand stehen, wird sich der Ärztemangel kurzfristig noch verschärfen. Im Kreistag von Vorpommern-Greifswald und auch auf einer Ahlbecker Kundgebung Ende August wurden deshalb Lösungen gefordert, zum Beispiel die Etablierung eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), ähnlich einer Poliklinik wie zu DDR-Zeiten.

Rot–rot hat kein Interesse an „Poliklinik“ auf Usedom

Doch daraus wird wohl nichts, denn die rot-rote Landesregierung lehnt ab. Dem Nordkurier liegt ein Schreiben von Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) an den Sozialausschuss des Landkreises vor. Darin heißt es, dass sich die „Vision der übergreifenden ärztlichen Versorgung mit den heutigen Niederlassungsoptionen am Standort Heringsdorf nicht realisieren“ lässt. Während die Usedomer Urlauberhochburg nach Einschätzung von Experten auf einen sich abzeichnenden medizinischen Notstand driftet, setzt die Ministerin stattdessen auf Zeit.

Drese verweist auf ein vom Bundesgesetzgeber geplantes Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, das es künftig den Kommunen einfacher machen soll, selbst Träger eines MVZ als GmbH mit reduzierter Sicherheitsleistung zu werden. Wirksam kann eine solche Regelung aber frühestens erst 2024 werden. Dreses Empfehlung an den Kreis: „Lassen Sie Ihr Ansinnen noch eine Weile pausieren, um zu schauen, ob die neue Möglichkeit mehr zu Ihren Vorstellungen passen kann.“

Drese sagte Einladung des Sozialausschusses ab

Entsprechend enttäuscht ist Bernd Schubert (CDU), Vorsitzender des Sozialausschusses, der die Ministerin zu seiner Sitzung eingeladen hatte, aber eine Absage erhielt. „Frau Drese ist total gegen ein MVZ.“ Es gebe keine Unterstützung. Damit dürften die Pläne zumindest vorerst in der Schreibtischschublade verschwinden, obwohl der Kreistag erst Anfang Juli den Landrat aufgefordert hatte, Gespräche mit dem Krankenhaus Wolgast aufzunehmen, um entsprechende Möglichkeiten auszuloten.

Viele Ärztehäuser und Polikliniken aus DDR-Zeiten sind verschwunden oder stehen wie hier in Sassnitz auf Rügen leer. (Foto: Ralph Sommer)

Bitter für die Patienten dürfte auch sein, dass ein jetzt potenzieller Investor seine Pläne für einen Wohn– und Gesundheitspark Heringsdorf endgültig aufgibt. „Ich werde in Heringsdorf nichts mehr unternehmen“, verkündet Prof. Dietmar Enderlein, Chef der finanzstarken Medigreif–Gruppe in Greifswald, die in Heringsdorf eine Fachklinik für Kinder und Jugendliche mit Stoffwechsel–, Haut– und Atemwegserkrankungen sowie psychische und psychosomatische Erkrankungen betreibt.

Unternehmer kritisiert Gemeinde Heringsdorf

Der inzwischen 80-jährige Klinik-Unternehmer, zu dessen Verbund mehrere Kliniken, Krankenhäuser und auch zwei MVZ in Sachsen-Anhalt gehören, hatte nach eigener Aussage den Kaiserbädern schon vor vier Jahren angeboten, nicht nur ein Ärztehaus mit Laborkapazitäten zu bauen. Darüber hinaus sollten auf dem Areal auch noch ein Elternhaus, 28 Senioren- und 10 Sozialwohnungen, dazu 26 Mitarbeiter- und 52 allgemeine Wohnungen sowie ein Einkaufszentrum und ein sogenanntes Care-Center entstehen.

„Wir wollten für den Wohn- und Gesundheitspark zwischen 35 und 40 Millionen Euro investieren“, sagt Enderlein, der angibt, schon einen städtebaulichen Vertrag und entsprechende Kreditverträge in der Tasche gehabt zu haben. Die Gemeinde habe ihm seinerzeit zugesagt, binnen 13 Monaten zu entscheiden. Doch stattdessen seien von ihr immer neue Forderungen gekommen, sagt er. „Das wäre ein Vorzeigeprojekt geworden.“ Inzwischen aber seien die Bauzinsen von 0,97 auf 4,5 Prozent gestiegen.

Könnte der Landkreis so ein Projekt stemmen?

Die Kosten für ein MVZ schätzt der Experte auf 4,7 bis 5,2 Millionen Euro. Fördermittel zum Beispiel von der Euroregion Pomerania dürfte es dafür nur geben, wenn man ein zweites MVZ spiegelgleich in Polen errichten würde. Inwiefern der Landkreis, dem gerade eine Haushaltssperre auferlegt wurde, so ein Projekt stemmen könnte, bezweifeln viele.

Der Kreis würde quasi bei null anfangen, warnt Enderlein. Für den Betrieb eines MVZ aber bräuchte man Sachverstand, Kompetenz und Nachhaltigkeit. Hinzu käme das Problem, dass es mehrere Jahre dauern würde, dafür genug Ärzte zu gewinnen.