25 Jahre lang

Riesige Gesundheitsstudie – Tausende Vorpommern und ihre Haustiere untersucht

Greifswald / Lesedauer: 4 min

Seit 25 Jahren checkt ein Greifswalder Forschungsteam Einwohner aus Vorpommern auf Herz und Nieren. Sie veröffentlichten kürzlich überraschende Erkenntnisse.
Veröffentlicht:16.01.2023, 13:08
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  • Author ImageRalph Sommer
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Kurz vor Weihnachten flatterte Post bei Fabian Feldt in Neuenkirchen ins Haus. Per Schreiben wurde der 45-Jährige eingeladen, sich freiwillig an der weltweit umfassendsten Gesundheitsstudie in Vorpommern zu beteiligen und zu Jahresbeginn für eine Vielzahl von Untersuchungen in der Unimedizin Greifswald zur Verfügung zu stehen.

Zwölf Stunden voller Untersuchungen

„Ich dachte mir, warum nicht“, sagt der Verwaltungsbetriebswirt. „Ein so umfangreicher Gesundheits-Check mit Untersuchungen, die ich normalerweise nie angetreten hätte, ist mir einen Urlaubstag wert.“ Die Zeit brauchte der zweifache Familienvater auch, der kürzlich zur körperlichen Rundum-Überprüfung im Klinikum antrat. Zwölf Stunden waren nötig für Untersuchungen von Augen, Zähnen, Händen, Füßen und Schilddrüse, für Bodyscan, EKG, Herzultraschall, Herz-Kreislauf-Check, Lungen-MRT sowie medizinisches Interview.

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Feldt war der insgesamt 10.000 Proband, den das Greifswalder Forscherteam seit dem Start der sogenannten SHIP-Studie (Study of Health in Pomerania ) im Jahr 1997 sprichwörtlich auf Herz und Nieren untersuchte. Ziel der Langzeituntersuchung sei es, detailliert wie nie zuvor den Zusammenhang zwischen Risikofaktoren und Krankheiten besser zu verstehen, sagt Prof. Henry Völzke, der das inzwischen international viel beachtete Forschungsprojekt seit 2002 leitet.

Auch bestimmte Haustiere werden untersucht

Gut möglich, dass Fabian Feldt demnächst auch zuhause Besuch von Veterinärmedizinern bekommt, die auch noch seine zwei Katzen und die Hühner untersuchen wollen. Denn seit zwei Jahren schließt die inzwischen dritte SHIP-Phase auch Checks der im Haushalt lebenden Hunde und Katzen sowie des Hofgeflügels ein.

Lange Zeit habe es in Industrieländern derartige Untersuchungen kaum gegeben, sagt Völzke. Doch spätestens seit der Corona-Pandemie, die vermutlich mit der Übertragung von Erregern von Fledermäusen auf den Menschen begann, stünden die sogenannten Zoonosen im besonderen Interesse der Forschung.

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„Mit der Einbindung der Haustiere wollen wir aber auch herausfinden, welchen Einfluss die Tierhaltung auf die körperliche und seelische Gesundheit des Menschen hat“, erklärt Völzke. Hundebesitzer zum Beispiel seien nachweislich oft fitter, weil sie regelmäßig mit ihrem Hund Gassi gingen und mehr in Bewegung seien. Und allein lebende Menschen seien oft seelisch stabiler, wenn sie einen tierischen Begleiter hätten.

Bewohner von Rügen und Usedom ausgenommen

Die inzwischen 10.000 Probandinnen und Probanden im Alter zwischen 20 und 79 Jahren, die teilweise inzwischen auch schon bis zu vier Folgeuntersuchungen hinter sich haben, stammen ausnahmslos aus den Landkreisen Vorpommern-Greifswald und Vorpommern-Rügen. Nur die Inselbewohner seien wegen des zu hohen Aufwandes ausgenommen, sagt Völzke.

Weltweit wurden seit dem Jahr 2000 insgesamt 1589 wissenschaftliche Publikationen mit SHIP-Daten veröffentlicht. Nahezu alle Risiken und Nebenwirkungen des menschlichen Lebens können mit der Langzeitstudie aufgedeckt und erforscht werden, etwa die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Übergewicht oder Depression.

Nachgewiesen wurde zum Beispiel, dass entzündlicher Zahnfleischschwund aufgrund von Parodontitis das Risiko für Herzinfarkt und Demenz erhöht. Entdeckt wurden zudem Risikogene für Gicht, Fettleber, Nierenkrankheiten und Schilddrüsenfehlfunktionen. „Wir haben auch nachweisen können, dass entgegen vieler Vorurteile in den vergangenen zehn Jahren der Alkohol- und Tabakkonsum in Vorpommern zurückgegangen ist“, so der Professor. Das hätten die Befragungen und die gemessenen Blut- und Leberwerte gezeigt.

65 Millionen Euro teures Forschungsgebäude

Zugleich aber haben hierzulande Fettleibigkeit und Diabetes deutlich zugenommen. Bewiesen wurde inzwischen auch, dass die in ländlicher Region lebende vorpommersche Bevölkerung deutlich besser immun ist gegen die durch Zecken übertragene Borreliose als Menschen anderer Regionen.

Bis zum Jahr 2027 soll für das von der Unimedizin inzwischen finanzierte Forschungsprojekt in Campus-Nähe ein Center für Community Medicine errichtet werden. Der Forschungsneubau von nationaler Bedeutung wird 65,5 Millionen Euro kosten und hälftig vom Bund und Land finanziert. Benannt wird das Gebäude nach dem amerikanischen Wissenschaftler William B. Kannel (1923-2011), der über viele Jahre mit seiner sogenannten Framingham-Studie, das weltweit erste Bevölkerungsprojekt geleitet hatte. In dem Neubau werden 330 Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.