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Kriminalität

Tote Ratte als Warnung aus der Unterwelt

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

In den kriminellen Milieus werden diejenigen mehr geschätzt, die bei der Polizei und vor Gericht den Mund halten und nicht alles ausplaudern.
Veröffentlicht:10.02.2022, 09:05

Von:
  • Thomas Beigang
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Mehr als zehn Jahre ist der Tag schon entfernt, als beim Nordkurier das Telefon klingelte. Am Apparat ein aufgeregter junger Mann aus einer Kleinstadt der Mecklenburgischen Seenplatte. Der Reporter müsse unbedingt kommen, Ungeheuerliches habe er mitzuteilen und zu zeigen, ihm sei sozusagen bereits ganz übel und er mache sich große Sorgen.

An der Haustür des Plattenbaus mitten im Zentrum der Kleinstadt wartete der Mann bereits, als der Nordkurier-Reporter eintraf. Und was dann geschah, überraschte selbst diesen. Der Anrufer öffnete seinen Briefkasten – und darin lag eine tote Ratte, der eine enge Schnur um den Hals gewickelt war. Große Verblüffung. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?

Eine Warnung aus der Unterwelt

Ein vertrauliches Gespräch mit einem erfahrenen Kripo-Mann offenbarte wenig später, dass jener toter Nager wohl als Warnung aus der kleinstädtischen Unterwelt zu gelten hatte: Halte den Mund, du Ratte, sonst geht es dir bald genau so. Der unfreiwillige Adressat der Sendung war der Polizei nicht unbekannt, Handy-Mann nannte man ihn auch, wegen seines illegalen Handels mit Hehlerware aus der Telekommunikationsbranche. Um seine Haut zu retten, soll er während einer Gerichtsverhandlung seine Lieferanten mit Namen und Adresse benannt haben. Nur wenige Tage vor der tierischen Überraschung hatte der aussagebereite Prozessteilnehmer bereits den Verlust zahlreicher frisch in seinem Garten angepflanzter Zypressen konstatieren müssen.

Drohbrief an der Windschutzscheibe

Ratten als Symbole sind immer noch aktuell. Ein 53-jähriger Deutscher hatte dieser Tage eine tote Ratte und einen Drohbrief an der Windschutzscheibe seines Autos in Heringsdorf auf Usedom gefunden. Wie die Polizei beeindruckt mitteilte, machte der Mann die Ekel-Entdeckung, als er morgens losfahren wollte. Offenbar handelt es sich bei dem Betroffenen um einen Gemeindevertreter von der Insel. Der Mann rief sofort die Polizei. Die stellte die Ratte und das Drohschreiben sicher. Da es in diesem Fall Hinweise auf eine politisch motivierte Tat gibt, hat der Staatsschutz der Kripo die Ermittlungen übernommen.

Zurück zu der auch in der hiesigen Unterwelt geschätzten Zurückhaltung im Umgang mit Polizisten und Richtern. Häufiger als den Gerichten und der Staatsanwaltschaft lieb sein kann, geben Zeugen während der Verhandlungen an, nichts gesehen und gehört zu haben. Auch wenn sich alle Prozessteilnehmer in solchen Situationen einig sind, dass Zeugen in diesem Fall die Unwahrheit sagen – der Nachweis fällt schwer. Dabei belehren Richter vor jeder Zeugenvernehmung über die gesetzliche Pflicht, sich an die Wahrheit zu halten. Aber nur sehr selten erheben später Staatsanwaltschaften Anklagen wegen Falschaussagen.

Manchmal aber doch und dann nehmen ehemalige Zeugen sogar in Kauf, wegen des ausgesagten Blödsinns selbst als Angeklagte vor Gericht zu landen. Am Amtsgericht in Waren an der Müritz trug es sich einmal zu, dass eine junge Frau, die in Begleitung eines Schnapsflaschen-Klauers eine Kaufhalle betreten hatte, später sogar einen anderen Bekannten als Dieb beschuldigte. Wer sei es denn nun wirklich gewesen, wollte der Richter in „ihrer“ Verhandlung wegen falscher Verdächtigungen dann wissen. Vergebens. Der biss sich daran die Zähne aus, wie vor ihm auch die Polizisten. Die junge Frau rückt den Namen nicht heraus. Das Gesetz des Schweigens, die Omertà, war in Waren angekommen.

Öffne deinen Mund nur auf dem Zahnarztstuhl!

Wie heißt es in Sizilien? Öffne nie deinen Mund, es sei denn, du sitzt auf dem Zahnarztstuhl! Der Richter wollte das dennoch nicht recht begreifen. „Es geht doch hier nicht um zwei Kilo Heroin, sondern nur um zwei läppische Schnapsflaschen.“ Und weil die Tat schon so lange zurückliege, würde dem Dieb auch nicht wirklich mehr etwas geschehen. Nein! Die Angeklagte schwieg und verriet nur so viel, dass sie den Mann als aufbrausend und unberechenbar kennengelernt und Angst vor ihm habe. Mehr mochte sie dazu nicht mehr sagen. „Unklug“, sagte der Richter und verurteilte die 23-Jährige wegen falscher Verdächtigungen und Strafvereitelung zu insgesamt 1500 Euro Geldstrafe.

Manchmal hat der Selbstschutz Vorrang

Manchmal aber bedrängen auch Richter und Staatsanwälte Angeklagte nicht um jeden Preis, alles zu sagen, was die wissen – wie jüngst in einer Verhandlung gegen einen ertappten polnische Lkw-Fahrer, in dessen Fahrzeug der Zoll Millionen unversteuerte Zigaretten entdeckt hatte. Der Mann sei nur das letzte Glied in einer Kette, hieß es, aber der mit dem allerhöchsten Risiko.

Mit jeder Erhöhung der einheimischen Tabaksteuer wachse die Nachfrage, offene Grenzen erleichterten die illegale Einfuhr. Organisierte Banden schmuggeln stetig mehr Tabak ins Land – mit immer raffinierteren Tricks und teilweise in aberwitzigen Größenordnungen, wie Zollkontrolleure berichten. Über die Hintermänner und Auftraggeber des gescheiterten Schmuggels in Pomellen erfuhren Gericht und Staatsanwalt nichts – und bedrängten auch nicht weiter den ohnehin schon am Boden zerstörten angeklagten Polen, der für zwei Jahre und drei Monate hinter Gitter geschickt wurde. Wenn der Ross und Reiter beim Namen nennen würde, so hieß es hinterher, bekäme das dem Familienvater sicher nicht gut. Der wolle doch und solle auch, so begründete es der Staatsanwalt, nach der Haftzeit mit heiler Haut bei seiner Familie ankommen.