Interview

Zu viele oder noch zu wenig Touristen in MV?

Rostock / Lesedauer: 4 min

Der Tourismusverband will wissen, wo Einheimische Probleme mit dem Tourismus im Land haben. Geschäftsführer Tobias Woitendorf erklärt im Nordkurier-Interview, wie das gehen soll.
Veröffentlicht:19.01.2023, 18:44

Von:
  • Jörg Spreemann
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Wenn möglichst viele Touristen kommen, wird im Land offiziell gejubelt. Für 2022 wird mit fast 32 Millionen gezählten Übernachtungen gerechnet, ein Plus von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besuchen in Wirklichkeit nicht sogar viel mehr Gäste Mecklenburg-Vorpommern?

Statistisch erfasst werden die rund 7 Millionen Gäste, auf die die genannten knapp 32 Millionen Übernachtungen in gewerblichen Betrieben mit mehr als zehn Betten entfallen. Mit Ferienwohnungen, Privatquartieren oder auch Hausbooten kommen wir in Mecklenburg-Vorpommern in normalen Zeiten eher auf 11 bis 12 Millionen übernachtende Gäste pro Jahr, Tagesgäste nicht mitgezählt.

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Ist mit diesen Gästezahlen die Grenze des Verkraftbaren erreicht?

Über das Jahr und das gesamte Land gesehen nicht, in der Hochsaison und in manchen Regionen allerdings schon. Ich würde nicht von Übertourismus sprechen, aber die Belastungen auf den Straßen, auf der Schiene oder an den Stränden erreichen in der Spitze dann schon Grenzen.

Wo sehen Sie die Problemzonen?

Die sind räumlich und zeitlich sehr begrenzt. Es sind die Inseln, die Zufahrten zu den Seebädern oder bei schlechterem Wetter auch Städte wie Stralsund. Dort profitieren dann wiederum Einzelhandel, Gastronomie oder Museen. Diese zeitweisen Belastungen sind bekannt und werden von den Einwohnern im Großen und Ganzen toleriert. Auf Dauer würde es schwierig.

In den Befragungen des Tourismusverbandes wird jedoch eine sinkende Akzeptanz bei den Einheimischen gemessen. Im Rahmen des Tourismusbarometers der Sparkassen wird für Mecklenburg-Vorpommern eine sinkende Gästezufriedenheit registriert. Sind das untrügliche Warnsignale?

Tourismus ist dann gut, wenn Gäste und Gastgeber, also die Einwohner im Land, damit klarkommen und zufrieden sind. Wir müssen im Land besser erklären, dass vom Tourismus mehr abhängt, als manch einer glaubt. Daran hängen nicht nur die Jobs im Tourismus, sondern auch die bei Bäckern, Malern, Maklern oder Apothekern, die ganzen Lebensumstände quasi. Tourismus wirft ein gutes Licht aufs Land und bringt viele positive Dinge auch für die Einwohner mit sich, im Einzelhandel oder in der Kultur oder im Austausch mit Gästen. Aber die Belastungen sind natürlich da, wenn man zum Beispiel nicht pünktlich zur Arbeit kommt oder hohe Preise fürs Wohnen zahlt.

Zu den Kritikpunkten von Gästen gehört unter anderem ein Mangel an Freundlichkeit. Bekommen Urlauber zu spüren, dass gerade auf den Inseln Usedom und Rügen, aber auch in Teilen der Seenplatte Einwohner zunehmend skeptisch auf die Touristenströme blicken?

Wir haben zu spät angefangen, mit allen Menschen im Land über den Tourismus zu reden. Wir haben den Tourismus ausgebaut, aber zu wenig erklärt. Branche und Politik haben versäumt, die Menschen rechtzeitig mitzunehmen. Es ist überfällig, dem Problem sinkender Akzeptanz die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Damit haben wir in der schwierigen Corona-Zeit bereits begonnen. Ich sehe schon Alarmzeichen, wenn in Regionen mit viel Tourismus die Akzeptanz schwindet.

Im Kern beeinflussen doch volle Straßen, hohe Mieten und eine strapazierte Natur, wie groß die Akzeptanz ist. Sehen Sie Möglichkeiten, die Einheimischen stärker als bisher ins Boot zu holen?

Wir müssen den Tourismus so entwickeln, dass die Einwohner spüren, dass sie etwas davon haben. Da geht es nicht um Umsatzzahlen. Viele Menschen wissen, wie wichtig der Tourismus ist. Aber die Frage ist dann, wie hoch fällt der persönliche Nutzen aus. Das wollen wir mit unser Dialoginitiative erkunden: Was stört, was können wir gemeinsam verbessern? Es geht dann darum, Belastungsfaktoren zu minimieren und persönlichen Nutzen auszuweiten.

Wie könnte das erreicht werden?

Nicht Ausbauziele mit noch viel mehr Gästen sollten im Vordergrund stehen, sondern ein einwohnerorientierter, qualitativer, sozial und ökologisch verantwortlicher Tourismus. Genau so wichtig wie die Gästezufriedenheit ist, dass die Menschen in MV mit dem Tourismus sehr gut leben können und wollen. Das muss man stärker betrachten als früher. Den Tourismus als wichtigen Wirtschaftszweig und Lebensgrundlage austauschen oder abschaffen können wir nicht.

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Wer muss jetzt liefern, damit die Akzeptanzkurve wieder steigt?

Wir reden von einer Gemeinschaftsaufgabe, die nicht beim Unternehmer halt macht, der für gute Arbeitsbedingungen sorgt. Es ist auch eine Aufgabe für die Kommunen und die Landesregierung, die Prämissen setzen muss. Die Zeiten von schneller, höher, weiter sind vorbei. Wir müssen verbessern, was wir haben. Und es ist allemal besser, in Tourismusorten eher Wohnungen für die Einwohner zu bauen als weitere Ferienwohnungen.

Es geht um die richtige Balance und dass häufiger mit Überzeugung auf den Tourismus geblickt wird. Eine Investition in die soziale oder kulturelle Infrastruktur, die auch für die Einwohner da ist, hilft dem Tourismus vielerorts mehr als ein weiterer Hotelneubau. Das ist eine Aufgabe von vielen Jahren, zu der ein ständiger, offener und ehrlicher Dialog mit den Einwohnern zählt.

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