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Alternde Diva Syrakus lockt nach Sizilien

Syrakus / Lesedauer: 4 min

Griechisches Erbe und italienisches Temperament: Die antike Stadt im Südosten Siziliens bietet die passende Bühne für große Opern und klassisches Theater. Doch bei einem ausgedehnten Bummel ist weit mehr als nur die schicksalhafte Vergangenheit omnipräsent.
Veröffentlicht:21.10.2014, 11:17
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„Stupido!“, dröhnt der erste, noch recht harmlose Fluch aus Theresas Mund. Dann ergeht sich eine solche Kaskade von Schimpfwörtern auf den Falschfahrer vor ihrem kleinen Imbiss, dass er das Weiterfahren vergisst. Fast hätte er ihren Mischlings-Welpen Billy-Boy beim Abbiegen erwischt – nun büßt er seine Achtlosigkeit in einem Sturmtief namens Theresa.

Als Spitzname für die knapp 60-jährige, gedrungene Syrakuserin wäre auch „Dame Ätna“ treffend – wie der 100 Kilometer nördlich gelegene Vulkan speit sie bisweilen Feuer und Rauch, ist aber ansonsten umgänglich. In ihrem kleinen Ein-Frau-Betrieb brät sie frischen Fisch für die paar Touristen und bereitet einen vorzüglichen Caffè freddo, einen Eiskaffee, mit dem die Besucher des nahen Stadtstrandes die Mittagshitze überbrücken.

Stets hält Theresa den Small Talk mit ihren Gästen auf kleiner Flamme: auf Italienisch, garniert mit englischen Floskeln und ein paar Brocken Deutsch. Kocht ihn hoch mit den ausladenden Gesten ihrer massigen Arme. „Slow food is good food“, orakelt sie, und schiebt den Gästen ein paar selbst gemachte Arancini hin – gebratene Reiskegel mit Erbsen-Mozzarella-Fleischfüllung. Köstlich!

Die engen Gassen von Ortygia, der auf einer Insel gelegenen Altstadt von Syrakus, sind ein Biotop für Originale wie Theresa: Kaum eine Paddellänge von einander entfernt drängen sich die charmant-schäbigen Häuschen im denkmalgeschützten Hafenviertel, spenden einander Schatten unter der sengenden Sonne Siziliens. Ein Blick aus dem Fenster genügt, um die Zutaten für das Nachtmahl des Nachbarn zu erspähen. Man kennt sich, man grüßt sich, man schwatzt miteinander – und macht einander gelegentlich auch eine Szene.

Einst Schutthalde – heute ein beliebter Treffpunkt

Hier auf Ortygia, zwischen den wuchtigen Trutzmauern des Castello Maniace im Süden und den beiden Hafenbecken im Norden, trägt die italienische Lebensart das prächtige und doch ein wenig fadenscheinige Gewand einer alternden Diva. Das passende Ambiente für eine Oper – oder ein antikes Drama.

Letztere können Syrakus-Besucher bereits seit 100 Jahren von Mai bis Ende Juni an einem ganz besonderen Ort genießen: In den Ruinen des antiken Teatro Greco, das mit rund 15 000 Tausend Sitzplätzen zu den größten seiner Art zählt. Syrakus war einst eine der bedeutendsten Städte der Griechen. Aischylos, dessen Dramen Agamemnon und Choephori/Eumenides in diesem Jahr auf dem Spielplan standen, war Syrakuser, der große Mathematiker und Erfinder Archimedes auch – selbst Platon hat hier zeitweise den philosophischen Nachwuchs unterwiesen.

Spuren der einstigen Größe der Stadt finden sich überall: Im Parco Archeologico della Neapoli, der neben dem Teatro Greco auch den Opferaltar von Hieron II. beheimatet, auf dem an Festtagen bis zu 450 Tiere geopfert worden sein sollen, sowie ein Amphitheater und ein Steinbruch, dessen Highlight das „Ohr des Dionysos“ ist: Aufgrund der gespenstischen Akustik sagt man der 64 Meter langen und mehr als 20 Meter hohen künstlichen Höhle nach, dass der Tyrann Dionysos sie schaffen ließ, um seine Feinde zu belauschen. Ein einfaches Händeklatschen klingt hier wie ein Pistolenschuss.

In der Altstadt wiederum zählen der barocke Dom, das Castello Maniace sowie die Fonte Aretusa zu den Touristenmagneten. Letzteres ist eine Süßwasserquelle, die nur wenige Meter von den salzigen Gestaden des Mittelmeers entfernt sprudelt. In ihr wuchern Papyrusstauden - auf Sizilien wachsen die einzigen wild vorkommenden Exemplare in Europa.

„Deutsche buchen selten in Syrakus“, sagt Paolo. In der Nähe betreibt er ein paar Ferienwohnungen und kümmert sich nun um das neue Naherholungsangebot für Syrakus-Touristen.

„Vor einem Jahr haben wir die Treppe angebracht, jetzt bringen wir den Strand nach und nach in Schuss“, erzählt er. Der Strand, das ist ein felsiger Abschnitt von vielleicht 50 Meter Länge unterhalb der imposanten Stadtmauer auf der Ostseite Ortygias. Früher wurde das Plätzchen als Halde für den Schutt aus Abbruchhäusern genutzt, nun treffen sich Einheimische und Touristen hier nachmittags zur schnellen Abkühlung und für ein kurzes Sonnenbad zwischendurch. Terrazzobröckchen und Kachelsplitter im Kies erinnern derzeit noch an die Vergangenheit des Strandes – doch Paolo und Gleichgesinnte sammeln den Müll der Besucher und die alten Schuttreste unermüdlich ein.

Auf einem großen Felsbrocken und einer hochbeinigen Badeplattform genießen noch mehr Sonnenanbeter die Meerlage, darunter auch etliche Touristen, bevor es zurück geht in das Gewirr aus Gässchen, Plätzen, Kirchen, Palazzi und Hinterhöfen.