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Eine gastfreundliche Ostsee? Ich will das nicht!

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

An der Küste ist man am freundlichsten – das klingt nach einer guten Nachricht. Aber nicht für unseren Autor: Er hat damit ein ziemliches Problem.
Veröffentlicht:17.01.2018, 11:24

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Es hört sich erst mal richtig toll an: Die Ostseeküste ist auf der Stuttgarter Tourismusmesse als gastfreundlichste Urlaubsregion Deutschlands ausgezeichnet worden. Da staunen Sie auch, oder? Gelten doch Nordlichter nicht unbedingt als Menschen, die ihre Freundlichkeit und Herzenswärme gleich jedem Erstbesten offen zeigen müssen. Aber mal ganz abgesehen von der Skepsis, die gerade bei nicht näher beschriebenen Online-Umfragen stets angebracht ist, habe ich ganz andere Probleme mit diesem Gute-Laune-Preis.

Denn gerade in unruhigen Zeiten wie diesen möchte ich als geborener Mecklenburger, dass trotz Globalisierung, Digitalisierung und Regierungslosigkeit einige Dinge so bleiben, wie sie schon immer waren. (Oder eben erst 50 Jahre später passieren.) Ein paar Beispiele gefällig?

Gute Laune am frühen Morgen? Unverständlich!

Wurde ich am Strandpommesstand nach einer ordentlichen Wartezeit mit einem grummeligen „UND?” empfangen – und das war und blieb dann auch die einzige Kommunikation bis zum angedeuteten Abschiedsnicken –, dann wusste ich: Ich bin an der Ostsee. Fragte ich orientierungslos an der Dorfstraße nach dem Weg, verschaffte mir das zu erwartende Gemurmel „Rechts. Links. Links. Lange geradeaus. Dann sind Sie da. Wenn nicht: Mal an der Tanke fragen!” für den Rest des Tages ein wohliges Gefühl von Heimat.

Die ehrliche und totale Überforderung, wenn zwei Familien mit einem halben Dutzend Kinder unangemeldet und gleichzeit zu Mittag speisen wollten, ließ erst meinen Blutdruck steigen und mich später gnädig über so viel Anachronismus freuen. Und ein ehrliches, junges, freudestrahlendes Ostseehotelrezeptionsgesicht, das mir allen Ernstes am frühen Morgen ein „GUTEN MORGEN! Ist das nicht herrliches Wetter heute?! Schön, dass Sie da sind! Kann ich etwas für Sie tun?” zumutete, das sah ich nur unverständlich an und fragte mich den Rest des Tages, woher dieses Gesicht wohl kommen möge.

Aus der Gegend ganz sicherlich nicht.

Und jetzt? Gastfreundlichste Region in ganz Deutschland. Ich will das nicht! Eine gewisse knuffige Knurrigkeit hat immer schon zur Ostseeküste gehört. Gewiss gibt es nicht wenige Urlauber, die die Schnauze gestrichen voll haben von der geschwätzigen und manchmal einfach nur schlecht gespielten Li-La-Laune-Freundlichkeit auf Mallorca, in Griechenland, in Bayern oder Sachsen. Ich glaube fest daran, dass so mancher extra an die Ostsee fährt, um mal endlich wieder so richtig schön ehrlich von einem Dienstleister ignoriert, angepampt und so behandelt zu werden, als bekäme der Urlauber Geld fürs Urlauben und nicht andersherum.

Es werden künftig noch mehr Touristen kommen

Außerdem mache ich mir große Sorgen, dass der Ostseeküsten-USP dahinschmilzt wie ein überteuertes Lakritzeis im Warnemünder Hochsommer. Kennense, oder? Der Unique Selling Point, das Alleinstellungsmerkmal, durch das sich laut Lexikon ein Angebot deutlich von den Wettbewerbern abhebt. Was haben wir denn hier, was andere nicht haben? Ein Meer gibt’s woanders auch. Wenig Menschen auf einem Fleck gibt’s woanders auch. Kaum Industrie, kaum Jugend, viel Tourismus – gibt’s woanders auch. Doch eine gewisse selbstbewusste Unfreundlichkeit, dieses typische „Ja, wir wollen Ihnen etwas verkaufen. Weil uns gar nichts anderes übrig bleibt. Aber dafür jahrhundertealte Traditionen verraten, Verhaltensweisen also, die tief in unseren Genen stecken? Keine Chance, mein Freund!”, das ich im Nordosten und an der Ostseeküste kennen und lieben gelernt habe – das haben wir nur hier.

Und ein Problem sehe ich noch. Sollte das wirklich wahr sein, sollte die Unfreundlichkeit an der Küste also zunehmend verschwinden, sollten sie in Binz, Zingst, Rerik und Boltenhagen immer gastfreundlicher werden – dann kommen künftig immer mehr und noch mehr und mehr. Dann gibt es außer den teils stolzen Preisen und der Bettenkapazitätsgrenze kaum noch etwas, das die Touristen fernhalten kann. Das freut dann zwar den Touristenverband – aber irgendwann ist ja auch mal gut.

Oder?