„Ich bereue nichts“

Dieter Kollark spricht über DDR-Doping, Stasi und Leistungssport

Neubrandenburg / Lesedauer: 7 min

Dieter Kollark gehört zu den erfolgreichsten Trainern der Leichtathletik. Mit seinen Athleten holte er insgesamt 13 Goldmedaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften.
Veröffentlicht:14.11.2019, 06:05

Von:
  • Thomas Krause
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Derzeit trainiert Dieter Kollark die deutschen Diskuswerferinnen Claudine Vita und Marike Steinacker. Anlässlich seines 75. Geburtstags sprach Nordkurier-Reporter Thomas Krause mit ihm.

Mit 75 darf man schon auf der Couch sitzen und Kreuzworträtsel lösen. Sie sind nach wie vor Trainer.

Zu Hause zu warten, bis meine Frau von der Arbeit kommt, das wäre nicht gut für mich. Nein, das wird es nicht geben. Obwohl ich das Training schon ein wenig zurückgeschraubt habe. Ich hatte dieses Jahr wegen der Weltmeisterschaft keinen Urlaub im Sommer. Das merke ich dann schon.

Mit Verlaub, wie ein 75-jähriger Rentner wirken Sie auch nicht. Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

Ich hatte 2018 einige Baustellen, mein Ohr machte mir wieder einige Probleme. Dazu kam eine Rücken-Operation im Frühjahr. Deshalb musste ich auch meine Trainertätigkeit in China zurückfahren. Dreimal habe ich eine Vertretung rübergeschickt, aber das funktioniert nur bedingt. Nun geht alles wieder dem Alter entsprechend gut, ich habe keinen Stress mehr. Auch weil ich meine Arbeit in China nicht fortsetzen werde.

Gibt es ein Datum, an dem Sie sagen, jetzt ist Schluss, zum Beispiel nach Tokio 2020?

Ich habe als Trainer zwar alles erreicht, was möglich war, ich muss mir nichts mehr beweisen. Nein, ein Datum gibt es nicht. Ich arbeite so lange, wie ich es machen kann. Meine Arbeit ist aber auch relativ einfach. Niemand sagt mir, was ich zu tun oder zu lasse habe. Daran mussten sich auch die Chinesen erst einmal gewöhnen. Aber sie wollten ja etwas von mir. Ich habe nicht einmal einenE-Mail-Account. Ich lebe noch in der analogen Welt, habe also viel Ruhe.

Das vergangene Jahr mit der EM in Berlin und den Anschuldigungen gegen Sie, Sie hätten einen jungen Athleten, der „Hanno Siegel“ genannt wurde und gedopt worden sein soll, trainiert, waren sehr turbulent. Nach Ruhestand klingt das wirklich nicht.

Das war der Hammer und völlig aus der Luft gegriffen. Ich habe damals in dem Zeitraum nicht im Nachwuchs trainiert, da gab es zwei Trainer. Die das geschrieben haben, verschiedene Zeitungen und der Verfasser, haben aber freiwillig und teilweise nach Gerichtsurteilen Gegendarstellungen und Unterlassungen abgegeben und auch entsprechende Anwaltskosten übernommen. Das ging alles ziemlich schnell. Auch, weil der betroffene Athlet vor dem LKA ausgesagt hat, niemals behauptet zu haben, etwas von mir bekommen zu haben.

Ist der Fall abgeschlossen?

Nein, denn es steht noch die Behauptung im Raum, dass er, in Abwesenheit seiner Trainer, bei mir trainiert hätte. Seine Trainer waren vielleicht fünfmal im Jahr weg, zur Weiterbildung etwa. Aber selbst dann war er nicht bei mir. Dies richtig zu stellen, werde ich wenn nötig auch gerichtlich veranlassen. Gut ist in dem Zusammenhang, dass meine Anzeige mittlerweile von der Staatsanwaltschaft Berlin nach Mecklenburg-Vorpommern übergeben wurde.

Im Zusammenhang mit der Siegel-Geschichte ist auch wieder Ihre Stasivergangenheit hochgekommen. Wie sehen Sie es?

Das ist halt Teil meines Lebens und für mich abgeschlossen. Nach der Wende wurden alle Trainer neu bewertet, die mit öffentlichen Mitteln finanziert worden sind. Diese Bewertung hat eine Kommission unter Vorsitz von Joachim Gauck vorgenommen. Meine Akten wurden 2008 studiert, es gab ein persönliches Gespräch mit Gauck. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass einer Weiterbeschäftigung beim DLV nichts im Weg stehe. Der Vertrag mit dem DLV endete 2015 nur wegen meines Engagements in China. Wenn es heute Menschen gibt, die das alles anderes beurteilen, ist das für mich okay.

Ihre Tätigkeit damals als IM haben Sie nie bestritten. Gibt es heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, so etwas wie Reue?

Ich bereue nichts, weil es damals der Situation geschuldet war. Manche Situationen waren einfach kompliziert. Ich wollte einfach als Trainer weiterarbeiten, habe dafür einen Spagat gemacht. Ich habe vieles richtig gemacht und vieles falsch. Und wahrscheinlich würde ich heute einiges anders machen.

Sie sind seit 1972 beim SC Neubrandenburg. Wie sehen Sie den Club heute?

Der SC Neubrandenburg hatte 30 Jahre bedeutenden Anteil am Erfolg des deutschen Sports, vor allem im Kanu- und Leichtathletikbereich. Es gab in diesen Jahren Höhen und Tiefen. Leider verlassen uns seit einigen Jahren viele Talente. Das aufzuhalten, ist sicher ein wichtiger Schlüssel, um an die Erfolge im Leistungssport wieder anknüpfen zu können. Vieles ist allerdings schwerer geworden. Die Gesellschaft hat sich verändert. Die jungen Menschen haben andere Interessen, eine andere Motivation, dazu gibt es bei vielen nicht mehr diese Heimatverbundenheit. Was den Wurf- und Stoßbereich angeht, sehe ich hier bei uns Licht am Horizont. Der Bundesleistungsstützpunkt Neubrandenburg, zu dem auch Rostock zählt, hat zehn Bundeskader. Drei von ihnen können sich berechtigte Hoffnungen machen, 2020 in Tokio zu starten.

Ist es heute als Trainer leichter als in der DDR?

Das kann man überhaupt nicht vergleichen. In der DDR waren unzählige Personen um mich herum, die sich einbrachten. Es gab einen Rahmenplan und du konntest auf dieser Grundlage eine gute Planung machen. Für den Nachwuchs war das ganz gut. Für den Spitzensport damals war es allerdings keine optimale Lösung. Mit dem System habe ich mich schwer getan, es gab zu wenig Möglichkeiten, eigene Wege im Training zu gehen. Heute ist das alles völlig anders. Es gibt allerdings nur noch wenige Stützpunkte mit optimalen Strukturen. Dass Talente an bessere Stützpunkte wechseln, ist daher auch nicht falsch. Nur müssten Vereine, die diese Talente ausgebildet haben, irgendetwas von dem Kuchen abbekommen.

Rückblickend betrachtet: Was war Ihr größter Erfolg als Trainer?

Die Siege waren es nicht, denn gewinnen muss am Ende immer einer. Es waren mehr die besonderen Dinge, etwa, dass einer meiner Athleten dreimal in Folge Weltmeister in einer Disziplin wurde. Oder dass Franka Dietzsch mit 42 Diskusweltmeisterin war, das war auch außergewöhnlich. Das haben bisher nur zwei Athleten geschafft. Anna Rüh wurde 2012 mit 18 Jahren für Olympia nominiert, auch das war etwas Besonderes. Als Erfolg würde ich auch bezeichnen, dass ich 2017 in China in die Top 12 der besten Trainer gewählt wurde, unter allen Sportarten. Da waren nur zwei Ausländer dabei.

Jetzt rückt mit Claudine Vita ein weiteres Wurftalent vor. Trauen Sie ihr eine ähnliche Karriere zu, wie sie Astrid Kumbernuss oder Franka Dietzsch hingelegt haben?

Ihr Talent ist unbestritten, aber wir haben viele Talente in Deutschland. Man muss sich Zeit lassen mit Claudine. Franka Dietzsch hat ihre erste Medaille auch erst mit30 geholt. Die 66,64 Meter, die Claudine in diesem Jahr geworfen hat, hören sich erst einmal gut an. Das ist aber nicht ihr Grundniveau, das liegt bei 62 bis 64 Metern. In einem großen Stadion hat Claudine noch nicht über 63 Meter geworfen. Ein Vergleich mit meinen Topathleten ist nicht angebracht, die waren in einer anderen Liga. Claudine könnte in einigen Jahren auch international Medaillen holen, aber bis dahin ist es noch ein steiniger Weg mit vielen Entbehrungen. Ob sie dafür bereit ist, wird die Zeit zeigen.

Wie beurteilen Sie die deutsche Leichtathletik derzeit?

Bei der Weltmeisterschaft in Doha hatten wir 72 Sportler am Start, aber keine 20 kamen unter die ersten zehn. Ich denke, der Verband wird das intern kritisch sehen, aber in der Außendarstellung kommt das nicht so rüber. Wir klammern zu sehr am Nachwuchsbereich, reden von Talenten, aber er kann nur Durchgangsstadion sein. Ich denke da nur an den Sprintbereich in Deutschland. Gemessen am Aufwand, der dort betrieben wird, kommt einfach zu wenig heraus. Da muss man dem Verband schon die Frage stellen, stehen Kosten und Nutzen für eine Disziplin im richtigen Verhältnis? In zwölf Disziplinen im Sprint gab es bei der WM fünf Nationenpunkte für einen fünften Platz. Geredet wird jedoch immer davon, ja, es gibt genug Nachwuchs. Das muss man sehr kritisch sehen.