Hansa Rostock
Fußball-Legende Gerd Kische und die große Hansa-Liebe
Rostock / Lesedauer: 8 min

Thomas Krause
Es ist ein schönes Bild, das Gerd Kische für sich als Profilbild bei Whats-App ausgewählt hat. Er sitzt auf einem Holzsteg, hat ein Bier in der Hand und schaut entspannt auf einen spiegelglatten See, eingerahmt von einer wunderschönen Landschaft. Man kann dieses Bild vielleicht auch als Botschaft verstehen: Gerd Kische hat die Gelassenheit entdeckt. Der einstige Fußballstar des FC Hansa Rostock und spätere Präsident des Clubs an der Ostsee mag nicht mehr draufhauen auf die Macher des Fußballgeschäfts. Er lacht und fragt: „Ist es Schwäche? Oder Vernunft?”
Der Rostocker feiert an diesem Samstag seinen 70. Geburtstag. Und die Frage, ob er wirklich schwächelt, beantwortet er so: Seinen Ehrentag wird er nicht am Kaffeetisch mit der Familie verbringen, sondern bei einer Jagd-Reise nach Österreich, Ungarn und Kroatien. „Vielleicht gönnen wir uns da auch den einen oder anderen Slivovitz. Bestimmt”, sagt er.
Gerd Kische gehört zu den ganz Großen des DDR-Fußballs. 63 Mal spielte er für die Nationalmannschaft, nahm an der Weltmeisterschaft 1974 in der BRD teil und gewann mit der DDR-Olympiaauswahl zwei Jahre später Gold in Montreal. Für Hansa kickte der gebürtige Teterower 180 Mal in der Oberliga. Kische galt als der schnellste Rechtsverteidiger des Erdballs, rannte die 100 Meter in 10,7 Sekunden. In der Wendezeit war er für „seinen” Club als Präsident und Manager tätig.
Seine Streitigkeiten mit Reinders sind legendär
Kische war erfolgreich, aber auch umstritten. Doch in all den Jahren ist er sich immer treu geblieben – er sagte jedem seine Meinung, unverblümt, ohne Punkt und Komma. Mittlerweile sind Kische-Zitate nicht mehr so oft in den Zeitungen zu lesen. Als doch eher Vernunft? Er lacht wieder: „Ich muss nicht mehr zu allem meinen Senf dazugeben.”
Das tat er oft. Legendär sind die Streitigkeiten zwischen Präsident Kische und Trainer Uwe Reinders, der Hansa in der Wendezeit aus der Oberliga in die Bundesliga führte. Beide zofften sich gern auch in der Öffentlichkeit. Der Grund ist ein banaler: Reinders, so wird es erzählt, soll neidisch gewesen sein, dass der Ossi Kische mehr Länderspiele in der Vita zu stehen hatte als er. Reinders kam nur auf vier Einsätze für die BRD. „Daran hat sich dann alles irgendwie hochgeschaukelt”, erinnert sich Gerd Kische.
Er möchte eigentlich nicht mehr groß über Reinders reden, macht es dann aber doch. „Reinders war ein sehr guter Trainer für uns, ist dann aber nur noch seinen Privatinteressen nachgegangen. Er hat einfach seine Arbeit nicht mehr gemacht”, blickt der damalige Hansa-Chef zurück. In Hansas erster Bundesligasaison wurde Reinders nach 27 Spieltagen schließlich gefeuert.
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Einen Versuch der Versöhnung zwischen den beiden „Alphatieren” hat es nie gegeben. Kein Interesse. „Ich mag ihn einfach nicht”, meint der Rostocker. Für ihn sei das Thema Reinders längst erledigt.
Mit Hansa-Funktionären wie Peter Michael Diestel, Horst Klinkmann oder Eckhardt Rehberg fetzte sich Gerd Kische später genauso intensiv wie mit Uwe Reinders. Ihm sei es dabei immer um das Wohl des FC Hansa Rostock gegangen. Es seien einfach zu viele Leute am Werk gewesen, die vom Fußballgeschäft keine Ahnung hätten. Für Kische ist der Stadionneubau immer noch der größte Fehler in der jüngsten Vergangenheit: „Ich habe nichts gegen ein neues Stadion, das ist schon wichtig. Aber ein Verein wie Hansa kann diese finanzielle Belastung nicht stemmen.” In dem Zusammenhang gibt sich die Hansa-Ikone inzwischen zumindest mit Robert Marien versöhnlich. Dem Vorstandschef des FC Hansa verpasste Kische viele verbale Ohrfeigen. Jetzt lobt er ihn sogar: „Ich habe Robert Marien sehr oft kritisiert, aber er macht das mittlerweile unglaublich gut. Er hat den Mut gehabt, das schwierige Thema Stadionverkauf anzugehen.”
Das Hansa-Idol lobt die sportliche Führung
Auch sportlich hat der einstige Dauerkritiker zurzeit wenig auszusetzen. „Jens Härtel als Trainer und Martin Pieckenhagen machen einen guten Job. Es sind Fortschritte zu erkennen, was lange nicht der Fall war.” Vielleicht noch die eine oder Verstärkung im Winter – er hoffe, dass Hansa dann den Klassenerhalt schafft.
Die bemerkenswerte Fußball-Karriere des Gerd Kische begann in Teterow, wo er mit sieben Geschwistern aufwuchs: Bei der BSG Einheit trat er das erste Mal gegen einen Ball und fiel schnell auf. Der damalige Bezirkstrainer Herbert Reif, der 2006 im Alter von 94 Jahren gestorben ist und eine Legende war, holte den jungen Teterower Anfang der 60er-Jahre ins Leistungszentrum nach Neubrandenburg. Für Kische war es das Größte damals: „Er hat mich Bauernlümmel aus Teterow geholt, ich war stolz.” Es sei eine tolle Zeit gewesen: „Ich habe in einer Villa in der Schwedenstraße (das einstige Postinternat, Anm. d. Red.) gelebt, wurde bekocht und alle haben sich um mich gekümmert.”
In Neubrandenburg schaffte der begabte Verteidiger schnell den Sprung in die Männermannschaft der BSG Post, die in der 2. Liga spielte. Ungewöhnlich damals: Als Fußballer einer Betriebssportgemeinschaft wurde der Post-Kicker für die Junioren-Nationalmannschaft der DDR nominiert. „Ich war der einzige BSG-Spieler”, sagt Kische mit Stolz. Die von Rudolf Krause trainierte Auswahl gewann 1970 völlig überraschend die Junioren-Europameisterschaft – mit Gerd Kische.
In Glasgow hatte es am 25. Mai 1970 im Finale gegen die Niederlande 1:1 nach Verlängerung gestanden. Beim damals üblichen Losentscheid hatte die DDR das Glück auf ihrer Seite. „Ein tolles Erlebnis”, erinnert er sich. Was Kische nicht wusste: Als er in Schottland um EM-Gold kickte, wurde hinter den Kulissen an seinem Wechsel zu einem Klub gearbeitet – auf alle Ebenen. „Als ich zurück in Neubrandenburg war, hieß es: Du gehst zum 1. September zu Hansa Rostock”, erzählt er. Hansa war seine zweite Station im Männerbereich, es sollte seine wichtigste sein. Mit der Kogge erlebte er Höhen und Tiefen, Auf- und Abstiege. Sein erstes Oberligaspiel für den FCH machte er am22. August 1970 gegen Wismut Aue (0:1) – an der Seite von Hansa-Größen wie Herbert Pankau, Helmut Hergesell oder Joachim Streich.
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Ein Jahr später debütierte er bereits in der Nationalmannschaft: Beim 1:0-Sieg in Mexiko spielte Kische 90 Minuten durch. Trainer Georg Buschner mochte den schnellen Rostocker. „Es hieß damals sogar oft, ich sei Buschners Schwiegersohn. Dabei hatte der gar keine Töchter”, erzählt er und lacht. Mit der Nationalelf feierte der Abwehrmann auch seine größten Erfolge – Teilnahme an der WM 1974, zwei Jahre später Olympiasieger in Montreal. Bei der WM absolvierte Kische alle Spiele der DDR, auch beim legendären 1:0 gegen die BRD stand er auf dem Rasen. „Dieser Sieg hatte uns aber nicht gut getan. Wir glaubten, es gehe im Turnier so weiter. Schade”, blickt er zurück.
Ein Wechsel zum BFC oder Dresden kam für ihn nie in Frage
Bei Hansa Rostock blieben die großen Erfolge aus. An einen Wechsel, um vielleicht im Europapokal spielen zu können, dachte Gerd Kische dennoch nie: „In der DDR verdiente man doch überall gleich wenig Geld, warum sollte ich da weggehen?” In Rostock, erzählt der 70-Jährige mit einem breiten Grinsen, habe er Dinge machen können, die beim BFC Dynamo oder Dynamo Dresden undenkbar gewesen wären: „Rostock war für mich ein Paradies.”
Aus diesem Paradies wurde der Nationalspieler und Hansa-Star aber 1981 gerissen. Nach einem privaten Fehltritt, den Kische heute als einen der größten Fehler seines Lebens bezeichnet, musste er gehen. Der Fußballer wurde offiziell zurück zur BSG Post Neubrandenburg „delegiert”. Für Post kickte er nur einmal, weil die Bezirksleitung ihm plötzlich mitteilte, dass er doch nicht bei Post spielen dürfe. Einflussreiche Freunde sorgten schließlich dafür, dass Kische zurück nach Rostock durfte. Zwei Jahre spielte er für die TSG Bau Rostock, dann noch einmal eine Saison für Post Neubrandenburg, ehe Gerd Kische seine Karriere endgültig beendete. Beruflich ging es für den Rostocker als Direktor Ökonomie beim Tiefbaukombinat weiter.
Nach seiner Funktionärs-Karriere beim FC Hansa und der anschließenden langen Fußballpause feierte Gerd Kische vor drei Jahren noch einmal ein Comeback auf der Fußballbühne – als Trainer des Kreisoberligisten SV Jördenstorf. „Das hat Spaß gemacht”, sagt er.
Heute lebt Gerd Kische mit seiner Lebensgefährtin in einem kleinen Dorf bei Laage und genießt das Landleben. Der einstige Fußballstar wirkt zufrieden. Im Rückblick auf sein bewegtes Leben in der Fußball-Welt sagt er, dass er nichts bereue. Eines ist Gerd Kische aber wichtig und er betont es beim Abschied an diesem Vormittag noch einmal: „Hansa wird immer mein Club sein.”