Fußballhistorie
Mit DDR–Legende Jürgen Heun auf Fußball–Zeitreise
Erfurt / Lesedauer: 5 min

Thomas Krause
Fußball spielt „Kimme“ schon lange nicht mehr, auch nicht im Erfurter Traditionsteam. Jürgen Heun deutet auf seinen Körper und sagt mit einem Schmunzeln: „Zwei künstliche Hüften — das ist schwierig.“ Mit den Oldies des FC Rot–Weiß Erfurt ist er dennoch unterwegs — er ist ihr Trainer. Bei der Fußball–Tingelei über die thüringischen Dörfer steht der Ex–Fußballer immer im Mittelpunkt — natürlich. „Die Leute auf den Dörfern möchten sehen, dass ich spiele. Aber es geht wirklich nicht mehr.“
Jürgen Heun ist einer der besten Stürmer des DDR–Fußballs gewesen. Eine Erfurter Fußball–Legende, die Fans des Klubs wählten ihn im Jahr 2000 zum Jahrhundertspieler des FC Rot–Weiß, er ist Ehrenspielführer. Stolze 400 Pflichtspiele absolvierte der bullige Stürmer für die Blumenstädter, schoss 131 Tore. 25 Jahre spielte er für den Club. „Rot–Weiß Erfurt war mein Wohnzimmer“, sagt Jürgen Heun, der am Freitag seinen 65. Geburtstag feiert.
Er sitzt frohgelaunt in einem Café in Arnstadt, der Kleinstadt bei Erfurt, in der er heute mit seiner Frau lebt, und erzählt aus seinem Fußball–Leben. Er sei zufrieden mit seiner Laufbahn, er habe durch den Fußball sehr viel verreisen können. Gibt es aber nicht zwei Makel in der Bilderbuch–Karriere — der fehlende Titel, die bescheidene Länderspiel–Bilanz? Jürgen Heun lacht: „Ja, einen Titel hätten wir gern gefeiert. 1980 im Pokalfinale waren wir dicht dran.“ Doch vor 45 000 Zuschauern im Stadion der Weltjugend in Berlin verloren die Rot–Weißen gegen den FC Carl Zeiss Jena mit 1:3. Bis neun Minuten vor dem Ende lag Erfurt mit 1:0 vorn, dann schlug der Favorit zu.
Er spielte gegen Zico und Socrates
Für die Nationalmannschaft der DDR kam der Angreifer auf 17 Einsätze — zu wenig für einen Spieler seiner Qualität. „Bei vielen Länderspielen habe ich auf der Bank gesessen, gefühlt an die 60 Mal“, blickt er zurück. Allein als Erfurter sei es damals schwierig gewesen, Clubs wie der BFC Dynamo oder Jena reisten mit bis zu fünf Nationalspielern an. „Die waren dann natürlich eingespielt, da griffen die Trainer gern drauf zurück. Aber es war trotzdem eine schöne Zeit, ich habe die Welt gesehen. Ich habe das mal zusammengezählt, in 36 Ländern war ich als Fußballer“, sagt Jürgen Heun. Im Winter habe die Nationalelf regelmäßig Wettkampfreisen nach Südamerika unternommen — mit Länderspielen gegen Brasilien, Argentinien, USA oder Mexiko. „Ich durfte als kleine Rotznase gegen brasilianische Stars wie Zico oder Socrates spielen. Das war ein Traum.“ In
17 Länderspielen schoss „Kimme“, den Spitznamen erhielt er wegen seiner Schussgenauigkeit, vier Tore.
Seinen Anfang nahm alles im bescheidenen Günthersleben; dort begann der kleine Jürgen bei der BSG Traktor mit dem Fußball. „Ich kann mich erinnern, dass wir damals den großen FC Rot–Weiß Erfurt oft geärgert haben und sogar mal Bezirksmeister wurden“, erzählt er. Mit
13 holte ihn der FC Rot–Weiß schließlich nach Erfurt. Schon in der Junioren–Oberliga machte der Stürmer mit Toren am Fließband auf sich aufmerksam. Am 1. Spieltag der Saison 1976/77 gab er schließlich sein Oberliga–Debüt. Beim 2:0–Sieg gegen den 1. FC Magdeburg wurde der 18–jährige Heun in 78. Minute eingewechselt, zwei Minuten später traf er zum 2:0 — per Kopf. „Das kam nicht mehr oft vor“, sagt Jürgen Heun. Die Partie leitete damals der berühmte WM–Final–Schiedsrichter von 1970 Rudi Glöckner.
Heuns Spezialität waren Freistöße. Egal aus welcher Entfernung, wenn der Mann mit der Nummer neun sich den Ball zurechtlegte, herrschte Alarmstimmung beim Gegner. „Diese Schussstärke kam nicht von allein, da steckte viel Training drin“, sagt Jürgen Heun und erzählt von der Zeit, als Hans Meyer Trainer in Erfurt war: „Mittwochs war immer trainingsfrei, nur Torwart Wolfgang Benkert, Jörg Hornik und ich durften ran. Jörg und ich mussten jeweils 100 Freistöße schießen, er mit links, ich mit rechts. Dann konnten wir nach Hause.“ Die drei Jahre unter Meyer beschreibt der Stürmer als besondere Phase: „Fachlich war er ein super Trainer, als Mensch eher schwierig, weil er knallhart war. Montags war immer Wiegen, hattest du ein Kilo zu viel drauf, kostete das 100 Mark Strafe.“
Nach der Wende zog es Jürgen Heun in den Westen
Angebote anderer DDR–Klubs gab es immer mal wieder. „Jena wollte mich haben. Aber da waren 15 Nationalspieler, du gehst dahin und spielst dann nicht. Das war nichts für mich. Ich weiß aber natürlich nicht, ob es damals die richtige Entscheidung gewesen ist“, erzählt er.
Jürgen Heun blieb ein Rot–Weißer — bis zu seinem Karriereende als Profi nach der Saison 1992/93. Da war Erfurt längst aus der 2. Bundesliga abgestiegen, für die sich die Thüringer 1990/91 qualifiziert hatten, spielten nur noch in der Amateuroberliga. In seinem letzten Spieljahr für Rot–Weiß schoss der Stürmer noch einmal zehn Tore in 30 Spielen. Heun suchte wie viele seiner Landsleute das Glück im Westen, war einige Jahre als Spielertrainer beim SV Landau/Isar und beim FC Ergolding aktiv. Im Jahr 2000 gab es schließlich einen Anruf aus Erfurt, ob er nicht als U23–Trainer zurück zum FC Rot–Weiß kommen würde. Ehrensache.
Heute genießt „Kimme“ seinen Ruhestand. Er ist immer noch — „zum Leidwesen meiner Frau“ — viel unterwegs in Sachen Fußball, schaut Bundesliga in Dortmund, Leipzig oder bei Union Berlin, engagiert sich im Vorstand des kleinen Museums „Fußballzeitreise“ in Bad Tabarz. Auch bei „seinem“ Club, der mittlerweile wieder in der Regionalliga spielt, ist Heun häufig auf der Tribüne zu sehen. Erfurt in der 4. Liga zu sehen, sagt der ehemalige Torjäger, „das tut sehr weh“. Die rot–weiße Liebe aber bleibt. Jürgen Heun ist zufrieden — so, wie es gelaufen ist: „1971 stand ich in Erfurt als Balljunge hinter dem Tor, später selbst auf dem Rasen. Das macht mich schon stolz.“