Ostdeutsche Sportreporter-Legende feiert 95. Geburtstag
Berlin / Lesedauer: 4 min

Journalisten sollten eher vorsichtig mit Superlativen umgehen. Aber drei Sätze von Heinz Florian Oertel können durchaus mit dem Attribut legendär bezeichnet werden: „Liebe Zuschauer zu Hause, das ist ein einmaliger Triumph. Liebe junge Väter oder angehende, haben Sie Mut, nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages ruhig Waldemar. Waldemar ist da!“, rief er am 1. August 1980 in Moskau in sein Reportermikrofon.
Emotionalität zeichnet ihn aus
Waldemar Cierpinski war gerade zu seinem zweiten Marathon-Sieg nach 1976 in Montreal gelaufen. Zumindest viele Ostdeutsche haben sich Oertels Sätze für immer eingeprägt. Nicht nur, weil Cierpinski aus der DDR kam, sondern auch, weil der Westen die Olympischen Spiele in Moskau seinerzeit boykottiert hatte. Cierpinski, ein bescheidener Zeitgenosse, hat Oertels Huldigung seinerzeit eher nicht geschmeckt, zumal sie dazu beitrug, die Popularität des Läufers bis hin zum Volkshelden zu steigern. Später habe er sich damit angefreundet, zumal ihm Oertel erzählt habe, dass solche Fernsehreportagen ohne die Leistungen der Sportler unmöglich seien.
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Diese Emotionalität hat Oertel, der am Sonntag seinen 95. Geburtstag feiert, wohl auch ausgezeichnet. Der Schnellsprecher verfügte nicht nur über ein profundes Sport- und Allgemeinwissen. Er machte insbesondere bei Live-Reportagen aus seinem Herzen keine Mördergrube.
Bis vor wenigen Jahren reiste Heinz Florian Oertel noch mit seinen Büchern durch die Lande, insbesondere die ostdeutschen. Doch schon vor seinem 90. Geburtstag hatte er sich krankheitsbedingt weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, bis heute. Ein dpa-Kollege erreichte ihn am Freitag dann aber doch in seiner Wohnung in Berlin.
Sein Jubiläum will er am Sonntag mit einer kleinen Feier begehen. „Also, wenn alles so gut in Schwung wäre, wie meine Stimme, dann ginge es mir echt gut. Aber die kleinen Wehwehchen sind in meinem Alter normal“, sagte Oertel.
Live-Kommentare, DDR-Stars und „Kessel Buntes”
Insgesamt aber sei er mit seinem gesundheitlichen Zustand im Reinen. „In diesen Altersgefilden geht es manchmal bergauf und manchmal bergab“, sagte der in Cottbus geborene Journalist. Seit 1949 berichtete er unter anderem von 17 Olympischen Spielen und acht Fußball-Weltmeisterschaften. Viele Sportstars hatte er vorm Mikrofon. Eiskunstlauf-Live-Kommentare mit den DDR-Stars von Christine Errath bis zu Katarina Witt, Reportagen vom Boxen, Radsport, der Leichtathletik und vielen anderen Sportarten machten ihn berühmt.
Doch Oertel war nicht nur unterwegs in Sachen Sport, sondern auch in der Unterhaltungsbranche. Er moderierte den „Kessel Buntes“, führte durch Sendungen wie „He, he, he – Sport an der Spree“, „Schlager einer großen Stadt“ sowie „Schlager einer kleinen Stadt“, mit der er auch in Waren gastierte.
Zum Fernsehliebling gewählt – auch mal mit Boot auf Dorfteich unterwegs
Nicht zu vergessen seine Interviewsendung „Porträt per Telefon“, die von 1969 bis 1990 sagenhafte 254 Folgen erlebte und damit wohl eines der längsten Interview-Formate der deutschen Fernsehgeschichte sein dürfte.17 Mal wurde Oertel zum Fernsehliebling des Jahres des Fernsehens der DDR gewählt.
Während vielen westdeutsch sozialisierten Bundesbürgern der Name Heinz Florian Oertel nichts sagt, wird der Journalist im Osten nach wie vor verehrt, was wohl auch mit seiner Volksnähe zu tun hat. So berichtete Karin Brusberg aus Bandelow in der Uckermark vor zwei Jahren, dass Oertel 1965 für eine Livesendung auf dem Dorfteich im Ruderboot unterwegs war. Sie besitzt sogar ein Foto von der Aktion.
Die Linke in Waren brachte erst in diesem Sommer eine Vorlage in die Stadtvertretung ein, wonach bei der Neuvergabe von Straßennamen die „Verbundenheit mit der eigenen Kultur der Zeit der DDR“ berücksichtigt werden sollte. Künstler wie Nina Hagen, Manfred Krug, Rolf Herricht, Tamara Danz und Wolf Biermann wurden genannt. Die Linke würde sich aber auch eine „Heinz-Florian-Oertel-Straße“ wünschen.