Früherer Weltklassecoach begeht runden Geburtstag

Trainer-Ass feiert Jubiläum zwischen Freude und Frust

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Ihm hat der Sportclub Neubrandenburg unzählige hochkarätige Leichtathletik-Medaillen und sogar Weltrekorde im Laufbereich zu verdanken. Anlässlich seines 80-jährigen Geburtstags am Sonntag blickt der frühere Weltklassetrainer für die Mittelstrecke, Walter Gladrow, jedoch mit gemischten Gefühlen auf seine Karriere zurück.
Veröffentlicht:20.06.2014, 16:13

Von:
  • Roland Bandow
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Anfang August 1976. Feierlicher Empfang für die erfolgreichen DDR-Sportler bei den XXI. Olympischen Sommerspielen von Montreal (Kanada) auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Statt Ehefrau Helga reist spontan Tochter Ulrike Gladrow mit in die Hauptstadt, um ihrem Vater Walter sowie seinen medaillen-geschmückten Athletinnen Brigitte Rohde (Gold: 4x400 Meter), Elfi Zinn (Bronze: 800 Meter) und Anita Weiß (Vierter Platz 800 Meter) gratulieren zu können. Ulrike Gladrow steht allerdings für die geplante Festivität nicht im offiziellen Protokoll. Der damalige Teenager stellt somit ein „Sicherheitsrisiko" dar. Und außerdem: Ordnung muss sein! Das Töchterchen darf nicht mit in den Saal, kann ihren erfolgreichen Papa nicht wie erhofft in die Arme schließen. Wenn das Familienoberhaupt der Gladrows etwas nicht ausstehen kann, sind es Ungerechtigkeiten und bürokratischer Nonsens. Walter macht sich empört und dazu noch lauthals Luft über diese Entscheidung der DDR-Funktionäre. Es nützt nichts, Ulrike muss draußen bleiben. Schließlich haben im Honecker-Staat Partei und Regierung das Sagen. Eine Nuance am Rande? Schnell wieder vergessen? Leider nicht. Der kleine Zwischenfall hat große Folgen.  Gladrows Mittelstrecklerinnen beherrschen zwar auch in den Folgejahren die Weltspitze mit. 1987 gewinnt gar der Wodars-Wachtel-Doppel-Eilzug Gold und Silber über 800 Meter bei WM in Rom. Die Laufzeiten beider Gladrow-Schützlinge thronen noch heute auf der ewigen deutschen Bestenliste (1:55,26 Minuten bzw. 1:55,32 Minuten) ganz oben. Bei den XXIV. Olympischen Sommerspielen von Seoul (Südkorea) gelingt dem Neubrandenburger Mittelstrecken-Express sensationell genau die gleiche Medaillen-Ausbeute. Die für solche Fälle vorgesehenen staatlichen Ehrungen erhält Trainer Walter Gladrow allerdings nicht...

Sehnlichster Wunsch erfüllt sich nicht

Den in der Nähe des früheren Königsbergs geborenen „ostpreußischen Dickschädel" hatte die Staatssicherheit mit Hilfe von mehr als einem Dutzend „Informeller Mitarbeiter" (IM) ohnehin schon lange auf dem „Kieker". Der Grund: Gladrows Vater lebte von der Familie getrennt in der BRD und hatte einst dem Oberkommando der Wehrmacht angehört. Schon nach dem Abitur löst sich Walters sehnlichster Wunsch, Dolmetscher für Russisch und Englisch, zu werden, unbegründet in Wohlgefallen auf. Die wichtigste Maxime des schlanken Erfolgscoaches kommt erstmals richtig zum Einsatz: Nie aufgeben! Walter Gladrow orientiert sich um, studiert im sächsischen Chemnitz Russisch und Sport auf Lehramt und lernt „seine" Helga kennen. Nach der Uni gehen beide dorthin, wo sie Vater Staat am nötigsten braucht - nach Ueckermünde. „Die Jahre von 1957 bis 1962 am Haff waren wohl meine schönsten", philosophiert der Experte im Nachhinein.

1962. Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) werden in der DDR eingerichtet. Anklam bekommt auch eine und Helga Gladrow soll dort unterrichten. Der Ehemann legt ausnahmsweise mal erfolgreich Einspruch ein. „Meine Frau bekommt ihr nur im Schlepptau mit mir." Fortan bietet Walter Gladrow in Anklam und später in Neubrandenburg einen pädagogisch-methodisch hochwertigen Unterricht an. Er probiert, tüftelt, gewinnt vor allem das Vertrauen seiner Schützlinge. Es kommt, was kommen muss: Die ersten Erfolge stellen sich ein. Peter Steingräber holt als B-Jugendlicher im Dreisprung bei DDR-Meisterschaften Gold: beachtliche 13,86 Meter auf Aschenbahn. „Die Grundlage für meine späteren, großen Erfolge haben damals Athleten gelegt, über die man heute gar nicht mehr spricht", ist sich der Weltklasse-Trainer jetzt klar.

Sprinter Wolfgang Gutschwager schafft es bis in die Nationalmannschaft, Klaus-Dieter Voelz, Günter Horn oder auch Klaus Tietz zeigen der Konkurrenz auf Mittel- und Langstecken meistens die Hacken.

Talente sind bei Gladrow in guten Händen

1965 übernimmt Walter Gladrow den weiblichen Laufbereich. Kein Mädchen ist in der Lage, die 800-Meter unter 2:20 Minuten zu laufen.  Wenige Jahre später laufen die Gladrow-Schützlinge Elvira Fischer, Cornelia Dornbrack, Edda und Elke Klatte über 4 x 800 Meter mit 9:04,0 Minuten den ersten offiziellen Weltrekord auf dieser Staffel-Distanz.  Im Schatten seiner späteren Weltstars, zu denen auch die wegen der Liebe zu Weitspringer Frank Wartenberg nach Halle an die Saale gewechselte Christiane Stoll-Wartenberg (immer noch deutsche Rekordhalterin über 1500 Meter in 3:57,71 Minuten) gehört, machen auch viele andere Talente mit Klassezeiten von sich reden. Regine Donner, Beate Schmidt, Marita Pagels, Brunhilde Herzberg, Marita Knüppel, Angelika Vennewald, Claudia Ziebell oder auch Fred Wegner und Erwin Gohlke sind Namen, die unter Kennern immer noch einen guten Klang haben.  Bis zur politischen Wende in der DDR sammeln Gladrow-Athleten Medaillen wie andere Briefmarken. Aber auch die kleinen Gemeinheiten und vielfältigen Bespitzelungen bleiben bestehen.

Erst die frei gewählte Volkskammer der DDR 1990 erkennt die Ungerechtigkeiten gegenüber Walter Gladrow an. Der Erfolgs-Trainer wird längst überfällig mit dem Titel „Verdienter Meister des Sports" ausgezeichnet. Endlich! Der Weg zu neuen Erfolgen ohne Nackenschläge scheint vorbei.  Doch wieder geirrt. Der Ärger kehrt zurück! Von Anfang an bei der DDR-Volksbildung und nun als Lehrer im Sportgymnasium angestellt, wird dem damals 58-Jährigem im Jahre 1992 aus „Mangel an Bedarf" gekündigt. Walter Gladrow versteht die Welt nicht mehr! Der Deutsche Leichtathletik Verband (DLV) will jedoch nicht auf die Kompetenz des erfahrenen Leichtathletik-Lehrers verzichten. Für zwei Jahre wird Walter Gladrow Bundestrainer Lauf/weiblich. Aber dann ist auch da Schluss. Der SC Neubrandenburg, der durch Walter Gladrow in der Welt bekannt geworden ist, hat kein Interesse und wohl auch kein Geld, um den Meistermacher weiter zu beschäftigen. Enttäuscht darüber, erklärt er 1995 seinen Austritt aus dem Sportclub.

Vor zwei Jahren hat nun Walter Gladrow, der am Sonntag den 80. Geburtstag feiert, seine Karriere als Trainer offiziell beendet. Der Garten in Klein Nemerow und die schöne Insel Usedom sehen ihn jetzt öfter.