Spurensuche

Wer steckt hinter den Kinder-Doping-Vorwürfen gegen Kollark?

Nerubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Der Neubrandenburger Leichtathletik-Trainer Dieter Kollark wirkte beim DDR-Doping mit, er arbeitete mit der Stasi zusammen – das war bekannt. Nun brachten neue Vorwürfe eine große Nordkurier-Recherche ins Rollen.
Veröffentlicht:06.12.2018, 08:55

Von:
  • Thomas Krause
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Freunde hatten ihm in diesen Wochen oft geraten, die Sache doch einfach ruhen zu lassen. „Irgendwann spricht kein Mensch mehr darüber.“ Doch Dieter Kollark, einer der erfolgreichsten Leichtathletik-Trainer Deutschlands, wollte nicht Ruhe geben. Wer kann schon wollen, dass die Behauptung in der Welt steht, man habe Kinder mit Tabletten und Spritzen gedopt und fürs Leben krank gemacht?

Behauptet hatte genau dies ein „Hanno Siegel“ in einem Artikel, der kurz vor der Leichtathletik-Europameisterschaft im Berliner Tagesspiegel erschienen war. Der heute 53-Jährige, so hieß es im Tagesspiegel, habe zu DDR-Zeiten im Alter von 13 bis 17 Jahren von seinem Trainer Dieter Kollark Tabletten und Injektionen bekommen. Siegel, so der Alias-Name des vermeintlichen Opfers, das anonym bleiben sollte, sei heute ein Pflegefall. Er schaffe es nicht mal mehr allein zur Toilette, schrieb die Autorin Anne Armbrecht über Hanno Siegel. Der soll seine Leidensgeschichte dem Schweriner Facharzt für Psychosomatik, Dr. Jochen Buhrmann, erzählt haben, der sie dann wiederum der Journalistin weitergereicht haben soll.

Anonyme Vorwürfe also, 40 Jahre nach den behaupteten Vorgängen, die sich noch dazu in einem untergegangenen Land abgespielt haben sollen. Wie soll man dagegen ankämpfen? Kollark stellte zunächst Strafanzeige gegen Unbekannt, weil er einen, auf den die Geschichte dieses „Hanno Siegel“ passen könnte, niemals trainiert und damit auch nicht gedopt habe. Der Tagesspiegel musste eine Gegendarstellung drucken, der Artikel verschwand auch von der Internetseite.

Doping-Opfer oder Trittbrettfahrer?

Aber Zweifel blieben, denn eigentlich stand jetzt nur Behauptung gegen Behauptung. Und Fakt ist, dass Dieter Kollark nie bestritten hat, vom DDR-Staatsdoping gewusst zu haben. Auch aus seiner Tätigkeit als Stasi-IM machte er nie einen Hehl. Könnte an der Geschichte von „Hanno Siegel“ also doch etwas dran sein? Oder wollte da womöglich nur ein Trittbrettfahrer 10.500 Euro Dopingopfer-Entschädigung einstreichen?

Es folgten intensive Recherchen des Nordkurier. Die haben nun ergeben, dass Dieter Kollark einen wie „Hanno Siegel“ wohl tatsächlich niemals trainiert haben kann. Das bestätigen inzwischen mehrere Zeugen – wie zum Beispiel der ehemalige Clubvorsitzende Hans-Joachim Schachtschneider. 1978 berief er Kollark als Trainer zum Sportclub Neubrandenburg, also genau in dem Jahr, in dem einer wie „Hanno Siegel“ als damals 13-Jähriger bei Kollark sein Training aufgenommen haben müsste.

Schachtschneider allerdings sagt: „Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass Dieter Kollark so einen Jungen niemals trainiert hat. Wir haben Kollark eingestellt, um den Spitzenbereich zu führen“, sagt der 84 Jahre alte Neustrelitzer. Aber nicht nur Schachtschneider ist sich seiner Sache sicher. Da sind auch noch Frank Schultz und Dirk Dolinsky. Sie besuchten damals die Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Neubrandenburg. Und beide glauben ganz genau zu wissen, dass eigentlich nur der dritte Junge aus ihrer damaligen Kugelstoß-Trainingsgruppe dieser „Hanno Siegel“ sein kann.

Kugelstoßer von anderem Trainer betreut

Alter, Kugelstoßen, auf niemand anderen würden diese Voraussetzungen sonst passen. Beide sagen, und da sind sie absolut sicher: „Wir haben nie bei Kollark trainiert, der hatte mit Gerald Bergmann damals doch schon einen Spitzenathleten.“ Auch der dritte Junge aus ihrer Trainingsgruppe – der einzige, der Hanno Siegel sein könne – habe nicht mit Kollark trainiert.

Betreut wurde das Kugelstoß-Trio damals von einem anderen Trainer, der beim SCN speziell für den Nachwuchs verantwortlich war. Der Name dieses Mannes ist unser Redaktion bekannt, der ehemalige Coach möchte allerdings nicht an die Öffentlichkeit treten. Er bestätigt aber, dass die drei Jungs damals bei ihm trainierten. Zuvor hatte bereits Peter Block erklärt, dass Kollark „Siegel“ nie betreut haben könne. Der heute 63-Jährige trainierte von 1972 bis 1984 unter Kollarks Fittichen.

„Hanno Siegel“, wenn er denn nicht eine reine Erfindung ist, muss also aller Wahrscheinlichkeit nach der dritte Junge aus der Kugelstoß-Trainingsgruppe sein. Und natürlich weiß der Nordkurier, wie er richtig heißt und dass er in einer Kleinstadt bei Neubrandenburg lebt. Und selbstverständlich wollten wir von ihm wissen: Ist er wirklich dieser „Hanno Siegel“? Hat er selbst tatsächlich diese Vorwürfe erhoben oder wurden seine biografischen Daten vielleicht nur benutzt, um Vorwürfe zu konstruieren? Wir schrieben ihn an.

Arzt will sich zum Fall „Siegel” nicht äußern

Und wir bekamen Post von einem Rechtsanwalt. Michael Lehner, Vorstandsmitglied des Dopingopfer-Hilfsvereins DOH und designierter Nachfolger von dessen Noch-Vorsitzenden Ines Geipel. Sein Mandant werde keine einzige Frage beantworten. Gleichzeitig forderte er unsere Redaktion auf, zukünftig jede Kontaktaufnahme mit seinem Mandanten zu unterlassen. Eine Zuwiderhandlung würde als bewusster Versuch der Gesundheitsschädigung bewertet werden.

Nicht viel, aber immerhin lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass wir tatsächlich „Hanno Siegel“, von dem alle Wegbegleiter sagen, dass er nie unter Kollark trainiert hat, gefunden hatten. Auch der Schweriner Arzt Jochen Buhrmann wollte sich zum Fall „Siegel“ nicht äußern: „In der Angelegenheit gibt es ein Ermittlungsverfahren, in dessen Rahmen ich als Zeuge befragt wurde. Daher werde ich zu dieser Angelegenheit keine Stellungnahme abgeben.“

Kollark indes betrachtet die Sache mittlerweile sogar mit Humor. „Ich soll Hanno Segel drei Jahre trainiert und gedopt haben, und dann stößt er die Kugel nur auf 14,56 Meter. Das sehe ich schon als Majestätsbeleidigung“, sagt er. Gerald Bergmann, Kollarks Schützling damals, stieß die Kugel über 18 Meter weit.