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Deutschlands beste Schachspielerin

„Schach formt deine mentale Stärke, deinen Charakter”

Bestensee / Lesedauer: 9 min

Elisabeth Pähtz ist Deutschlands beste Schachspielerin eine von 40 Frauen weltweit, die sich Großmeister nennen darf. Im Interview spricht sie über ihre Leidenschaft zum Spiel, das sie ständig vor neue Herausforderungen stellt.
Veröffentlicht:15.01.2023, 11:11

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Elisabeth Pähtz ist Deutschlands beste Schachspielerin und seit Kurzem im Besitz eines besonderen Titels. Die 38-Jährige, die Jugend- und Junioren-Weltmeisterin war und bei Berlin lebt, ist die erste deutsche Schach-Frau, die sich Großmeister nennen darf. Nordkurier-Redakteur Thomas Krause hat mit ihr gesprochen.

Angenommen, wir würden eine Partie spielen. Wann würden Sie merken, dass ich nicht mal ein mittelmäßiger Schachspieler bin?

Zwei, drei Züge, wahrscheinlich. Außer – Sie haben sich eine gewisse Strategie schon angeeignet, dann vielleicht nach fünf, sechs Zügen.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie besser Schach spielen können als andere?

Ich glaube, dass haben mein Vater und ich bei meinem ersten internationalen Turnier 1995 gemerkt. Da habe ich die erste Europameisterschaft der U10 gespielt und bin fast Europameisterin geworden. Ich hatte in der dritten Runde die Russin geschlagen, die damals die große Favoritin war. Danach war klar, dass ich in meinem Bereich top bin. Da war ich neun Jahre alt.

Mittlerweile sind Sie eine Weltklasse-Spielerin und Profi. Gab es einen Zeitpunkt, an dem Ihnen klar war, dass Sie es an die Spitze schaffen können?

Das ist eine gute Frage. Ich bin das erste Mal in den Top 20 gewesen, da war ich schon Anfang 20. Mein Ziel war immer, in die Top Ten zu kommen, das habe ich 2018 erreicht. Eines meiner Hauptziele war, einmal Weltmeister zu werden, das habe ich leider nie geschafft, zumindest nicht im klassischen Bereich, nur im Juniorenbereich. Es war aber schnell ersichtlich, dass ich in die Top 20 kommen kann.

Ende des Jahres haben Sie den Titel eines Großmeisters bekommen und gehören damit zu den 40 Frauen weltweit, die diesen Titel tragen. Es ist das Größte im Schachsport. Sie mussten allerdings lange darum kämpfen.

Ja, weil eine meiner Normen sehr wacklig war. Du brauchst einen gewissen Gegnerschnitt und eine gewisse Punktzahl. Das Ganze ist sehr kompliziert. Das Handbuch des Weltschachverbandes hat aber Ausnahmen. Das zu lesen, ist jedoch nicht einfach. Es ist so schwierig, dass es die Schiedsrichter selbst nicht verstehen. Wie soll es da ein Spieler verstehen. Am Ende hat der Weltverband bei mir eine Ausnahme gemacht, weil sie die Spieler nicht für die Fehler der Schiedsrichter bestrafen wollen. Der Fehler, der bei mir begangen wurde, lag sechs Jahre zurück.

Sie sind Schach-Profi. Kann man in einem Land, in dem Schach eher Nischensportart ist, davon leben?

Vor Corona konnte man in Deutschland als Profi ganz gut leben, wenn man genügend Auftritte hatte. Seit Corona bin ich kein Profi mehr, wir hatten plötzlich keine Turniere mehr. Die Einnahmen fehlten und für Solo-Selbstständige gab es nichts. Ich bin dann um geswitcht auf Twitch und Youtube, habe mit meiner ukrainischen Freundin, die in den Top Ten ist, ein paar Lehr-Streams gemacht. Daraus gab es plötzlich Anfragen in Sachen Unterricht. Die Leute hatten plötzlich Interesse, Unterricht zu nehmen. Nach zwei, drei Monaten hatten wir genug Schüler.

Wer waren Ihre Schüler?

Das ist querbeet. Ich hatte einen Inder, einen Amerikaner. Witzigerweise war nur ein Deutscher dabei.

Sie haben mit fünf mit dem Schach begonnen, Ihr Vater war in der DDR ein Schach-Star und selbst Großmeister. War Ihre Karriere sozusagen programmiert?

Nein, er hatte mich nicht auf dem Schirm. Mehr meinen zwei Jahre älteren Bruder. Meine Mutter hatte damals an den Wochenenden oft berufliche Weiterbildung. Mein Vater hat mich dann einfach mitgenommen zu seinen Turnieren, da konnte er auf mich aufpassen. Ich hatte nichts mit Schach zu tun, schaute aber oft bei den Partien zu und konnte irgendwann die Figuren rücken. Mit sechs habe ich dann mein erstes Turnier gespielt.

Wäre Ihre Karriere ohne den Vater möglich gewesen?

Nein, gar nicht. Er hat mich bis zum 16. Lebensjahr ausgebildet.

Wenn Eltern ihre Kinder im Profisport trainieren, gibt es oft familiäre Konflikte. Wie war es bei Ihnen?

Natürlich gab es auch zwischen uns Konflikte, das ist bei jedem Kind so. Das Problem ist, nicht nur im Schach, dass das Kind nicht unterscheiden kann zwischen dem Schmerz, den das Elternteil fühlt in dem Moment, wo das Kind sportlich versagt hat, und Liebe. Kinder denken dann, sie seien den Eltern nicht gerecht geworden, die Eltern leiden aber selbst. Wichtig ist, da die Balance zu finden. Wenn beide Elternteile ihre Trauer nicht verbergen können, wird es schwierig. Bei uns hat das unsere Mutter immer gut geschafft, wenn mein Vater seine Emotionen nicht verbergen konnte.

Was begeistert Sie am Schach?

Begeistert ist vielleicht das falsche Wort. Beim Schach wird es nie langweilig. Es gibt in jeder Partie immer wieder neue Situationen, mit denen du klarkommen musst, für die du Lösungen brauchst. Es ist kein Spiel, das sich wiederholt. Nicht zu vergessen ist die psychologische Komponente, es entstehen Stresssituationen. Du musst mit deinen Emotionen klarkommen, mit deinen Nerven. Das ist sehr anstrengend. Wenn du bei einer WM fünf, sechs Partien gespielt hast, bist du richtig kaputt.

Wie viele Stunden Training stecken in einer Partie Schach?

Das ist schwierig zu sagen. Ich spiele seit 30 Jahren Schach. Fitness gehört aber dazu. Da hatte ich in den vergangenen Wochen erst gemerkt, dass ich körperlich doch etwas abgebaut habe. Ich habe mir jetzt ein Spinningrad für zu Hause gekauft, weil ich Joggen nicht so mag. Kondition ist sehr wichtig, denn du brauchst Energie. Vor allem in der letzten Phase eines Turniers benötigst du Reserven. Wenn du müde bist, machst du Fehler.

Gibt es aus Ihrer Sicht den perfekten Schachspieler?

Nein. Der Norweger Magnus Carlsen kommt dem Ganzen aber sehr nahe, weil er in jedem Bereich sehr gut.

Der Weltverband kämpft seit Langem um Olympia. Sollte oder muss Schach olympisch werden?

Diese Diskussion ist viele, viele Jahre her, sie war dann wieder aus dem Raum. Ich weiß gar nicht, wie der jetzige Stand ist. Jetzt haben wir so viele andere politische Probleme, dass es nicht mehr darum geht, ob Schach olympisch wird oder nicht, sondern darum, was mit den russischen und weißrussischen Spielern wird.

Hat der Ukraine-Krieg große Auswirkungen auf den Schachsport?

Der Krieg hat auf jeden Sport große Auswirkungen. Aber im Schach ist es extrem, weil der Präsident des Weltschachverbandes ein Russe ist. Dann gibt es noch Konflikte mit dem Iran, Russland unterstützt den Iran, Iran erlaubt seinen Spielern nicht, gegen Israelis zu spielen. Jetzt bei der Schnellschach-WM in Kasachstan waren fast keine Ukrainer da, weil sie nicht gegen Russen antreten wollen, es gibt Druck vom ukrainischen Innenministerium. Und der Weltverband steuert nicht dagegen. Das Ganze ist super, super verzweigt und hat krassen Einfluss auf den Sport. Bei uns brennt es überall.

Das klingt nach keiner schnellen Lösung.

Die Ideallösung für den Westen ist natürlich, schmeißt die Russen überall raus. Aber der Weltschachverband will ja Spieler nicht dafür bestrafen, dass sie einen russischen Pass tragen. Ich als Sportlerin sehe das sportlich. Für mich ist Sport Tradition, etwas Kulturelles und da geht es mir um den Menschen und nicht darum, welchen Pass er trägt. Ich würde die Russen und Weißrussen nicht aus dem Sport werfen, sie können ja nichts dafür.

Schachsport ohne Russen kann man sich auch nicht vorstellen. Wie denken Sie darüber?

Für mich ist eine Weltmeisterschaft keine Weltmeisterschaft, bei der die Russen und auch die Chinesen fehlen. Die Chinesen haben auf viele Wettkämpfe wegen Corona verzichtet. Seit Corona ist Schach nicht mehr das, was es mal war. Die Ukrainer haben die Schach-Olympiade gewonnen, aber da waren die Russen und Chinesen nicht dabei.

Sie haben sich sehr für die Gleichberechtigung der Frauen im Schach eingesetzt, was zum Beispiel finanzielle Förderungen und Trainerbetreuung betrifft, und sind dafür zeitweise sogar aus der Nationalmannschaft ausgetreten. Mit Erfolg, es gab einige Verbesserungen für Schachfrauen in Deutschland. Sind Sie zufrieden?

Ich bin da lange auf Granit gestoßen. Der Verband argumentierte immer: Männer seien stärker. Ich habe gesagt: Generell stimmt das ja. Aber wenn die Männer bei einer Schach-EM Bronze holen und die Frauen auch, hat doch die Medaille die gleiche Bedeutung. 2019 habe ich alles hingeschmissen, war nicht mehr für die Nationalmannschaft im Einsatz. Mittlerweile ist alles gut, es gibt keine Ungleichbehandlung mehr.

Sie plädieren dafür, dass Schach als Unterrichtsfach gelehrt wird. Was versprechen Sie sich davon?

Alles. Schach trainiert deine Konzentrationsfähigkeit, du bist über einen längeren Zeitraum konzentrierter. Und das ist dann nicht nur im Schach so, sondern auch in Deutsch oder Mathematik, in allen anderen Fächern. Es gibt eine Studie der Uni Trier. Die Schach-Kinder haben in allen anderen Fächern besser abgeschnitten. Was für mich fast wichtiger ist. Schach formt deine mentale Stärke, deinen Charakter, es beschleunigt den Reifeprozess. Das gilt natürlich auch für andere Sportarten.

Was sagen Sie zur Netflix-Serie Das Damengambit, in der es eine Frau den Schach-Stars auf der Welt zeigt?

Ein gutes Märchen.

Die Serie erzielte aber Quotenrekorde und sorgte für eine gewisse Schach-Euphorie.

Ja, sie hat einen Hype ausgelöst. Für den Schachsport war die Serie gut, denn dadurch gab es viele Interessenten, die Unterricht nehmen wollten. Nicht nur bei mir, auch bei meinen Kollegen. Aber das Ganze ist genauso schnell wieder abgeflacht. Denn in der Serie wurde die Frau in sieben Folgen Weltmeisterin, in der Wirklichkeit haben die Leute aber schnell gemerkt, dass es doch mühseliger ist.

Sie haben Schach schon gegen viele Prominente gespielt, gegen Hape Kerkeling, Harald Schmidt oder die Klitschko-Brüder. Wer spielt gut?

Ich glaube, das ist Marco Bode, der Ex-Fußballer von Werder Bremen. Gegen ihn habe ich leider nie gespielt, aber ich weiß, dass er sehr gut spielt. Hape Kerkeling konnte es gar nicht.

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