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Fußball-Bundesliga

Wie Pep Guardiola einen Schiedsrichter aus MV berühmt machte

Waren / Lesedauer: 7 min

Nordkurier-Redakteur Thomas Krause sprach mit Markus Häcker aus Mecklenburg-Vorpommern, der sich altersbedingt aus der Bundesliga verabschieden muss, über den Startrainer, den Videoassistenten und das lauteste Fußballstadion.
Veröffentlicht:05.06.2021, 18:00

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Das Fachmagazin Kicker hat gerade ein Umfrageergebnis veröffentlicht, wonach fast 90 Prozent die Altersgrenze von 47 Jahren bei Schiedsrichtern abschaffen würden. Wie denken Sie darüber?

Klar kann man sagen, das ist eine Art von Diskriminierung, und wahrscheinlich würde man in dem Punkt überall recht bekommen. Aber ich finde diese Regelung gut. Es bedarf ja einer Fluktuation im Schiedsrichterwesen, um auch jungen Schiedsrichtern die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln.

Ein Argument für die Grenze ist die Fitness, die nachlässt. Aber mit 47 sind die meisten Schiris doch heute mega fit. Mit Verlaub, das kann kein Argument mehr sein.

Ja, das stimmt. Wahrscheinlich würde ich die Fitnesstests auch in einigen Jahren noch bestehen. Es stellt sich aber ja die Frage, wo setzt du diese Grenze, die du setzen musst. Es ist gut so, wie es ist. Alles hat seine Zeit.

Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Karriere: Was nehmen Sie mit?

Große Dankbarkeit und Stolz, das alles erlebt zu haben. Ich komme vom SV Traktor Pentz und habe es in die Bundesliga geschafft. Diese Zeit hat mich, so glaube ich, zu einer Persönlichkeit geformt, die aber die Heimatverbundenheit nicht verloren hat.

Ist Ihnen Ihr erstes Spiel als Schiedsrichter noch in Erinnerung?

Ich rekapituliere gerade ganz viel. Ja, das erste Spiel weiß ich noch: A-Jugend Traktor Pentz gegen Völschow. Ich habe in dem ganzen Spiel wohl nur viermal gepfiffen, zweimal an-, zweimal abgepfiffen. Ich war total unsicher und aufgeregt. Mein erstes Männerspiel war dann später Loitz gegen Tutow. Da bin ich von Bernd Reck beobachtet worden, ihm habe ich einiges zu verdanken.

War Bernd Reck so etwas wie Ihr Mentor?

Ja, das kann man sagen. Bernd Reck war zwei Jahre mein Schiedsrichter in der Regionalliga, ich habe so viel von ihm gelernt. Auch Dieter Kriehn, der damals Chef im Schiedsrichterausschuss war, gehört zu denen, die mir damals halfen. Und dann ist da natürlich mein Vater Siegfried Zellmer, der mir den Ratschlag gab, Schiedsrichter zu werden. Er war überzeugt, dass ich das Zeug dazu hätte.

Anfang der 2000er Jahre standen Sie als Schiedsrichter vor dem Sprung in die 2. Bundesliga, haben es aber nicht geschafft. War das ein Rückschlag?

Ja, ich stand vor dem Aufstieg in die 2. Bundesliga. Aber ich war damals nicht reif genug und darum auch nicht gut genug. Ich hatte mich dann mit Dieter Kriehn beratschlagt, er meinte, ich soll es als Assistent versuchen.

Ihre erstes Bundesligaspiel als Assistent war am 15. September 2007 die Partie 1. FC Nürnberg gegen Hannover 96. Nicht unbedingt ein Kracher.

Nein, aber darauf habe ich auch nie geschaut. Für die Mannschaften, die Fans und auch für uns war es in dem Moment das größte Spiel.

Was war denn für Sie ein Highlight-Spiel?

Ich weiß nicht mehr, in welcher Saison das gewesen ist. Aber es war Bochum gegen Hannover, 15. gegen 16., letzter Spieltag. Der Verlierer steigt ab. Das Spiel hatte für die Clubs so eine große Bedeutung, die Anspannung bei mir war so groß, ja nichts falsch zu machen. Hätte es damals schon den Videoassistenten gegeben, wäre ich entspannter gewesen.

Also ist der Videoassistent eher ein Segen für Sie?

Ich verstehe jeden Fan, der das kritisiert. Aber ganz egoistisch gedacht: Für uns ist er ein Segen.

Was ist für Sie das schönste Fußballstadion?

Deutschland hat viele tolle Stadien, aber das schönste ist für mich das Ostseestadion in Rostock.

In welchem Stadion war es am lautesten?

In Dortmund. Wir hatten dort mal ein Spiel des BVB gegen Stuttgart, ein irres Spiel, das 4:4 ausging. In der Kabine hatte ich aber einen Tinnitus, ich habe nichts mehr gehört. Aber auch in Liverpool, im Champions League-Spiel gegen Manchester City, war es unglaublich laut.

Wo haben Sie Ihr schönstes Spiel erlebt?

Es war eher das aufregendste und bedeutungsvollste Spiel. Das war 2017 in der Champions League die Partie zwischen Barcelona und Paris. Paris hatte das Hinspiel 4:0 gewonnen, Barcelona das Rückspiel mit 6:1. Und das entscheidende Tor fiel in der 5. Minute der Nachspielzeit.

Wie nimmt man ein Fußballspiel auf diesem Niveau als Schiri-Assistent wahr?

Die Leistungen der einzelnen Spieler gar nicht, weil du dich auf deine Aufgabe konzentrierst. Spieltaktisch hat man sich natürlich informiert, wie spielen die Clubs: Viererkette, lange Bälle oder mit Abseitsfalle. Bei Mannschaften wie Barcelona hattest du oft das Gefühl, dass du gar keine Fahne brauchst. Die wissen genau, wann sie abspielen müssen, um nicht im Abseits zu stehen. Das ist perfekt.

Gibt man bei Google Markus Häcker und Pep Guardiola ein, kommt gleich eine Szene aus dem Jahr 2015, die für Aufsehen sorgte. Was war da los?

Das war im Spiel Bayern gegen Schalke. Bayern schoss ein Tor, aber der Ball war vorher im Aus, also habe ich die Fahne gehoben. Da kommt Guardiola auf mich zugestürmt, er dachte, ich hätte Abseits angezeigt. Ich habe ihm das erklärt und er meinte dann nur: Das kann sein. Und gab mir die Hand. Nach dem Spiel wusste auch in Waren fast jeder, wer ich bin. Diese Szene hat mich überall bekannt gemacht, obwohl ich da schon acht Jahre in der Bundesliga dabei war.

Wie ist das Verhältnis zu den Profifußballern?

Es gibt kaum ein Verhältnis. Man kennt sich, nimmt sich wahr, aber das war es dann auch. Jeder ist fokussiert und im Tunnel. Nur Thomas Müller ist schon etwas anders, mit dem flachst man auch mal rum. Der ist wirklich so, wie er ist.

Wer schimpft oder beleidigt Schiedsrichter und Assistenten mehr, der Fußballer oder der Fan auf der Tribüne?

Die Spieler schimpfen heute nicht mehr, die sind viel zu gut geschult. Das sind schon die Fans. Aber in den Stadien ist es oft so laut, da nehme ich gar nicht wahr, was gerufen wird. Man muss aber auch ganz klar sagen, dass die Beleidigungen früher schlimmer waren. Es gibt Schimpfwörter, die hörst du heute im Stadion einfach nicht mehr.

Mittlerweile verdienen Schiedsrichter und Assistenten im Profibereich ganz gutes Geld. Wie wichtig war das Geld für Sie?

Das Geld ist schon ein Punkt gewesen, dass ich das alles so durchgezogen habe. Ich habe ganz oft auf meine Familie verzichten müssen, ohne Geld wäre es nicht so gewesen. Ganz klar. Ja, es ist mittlerweile nicht wenig Geld, aber dafür musst du dem DFB auch rund um die Uhr zur Verfügung stehen, du trittst deine Persönlichkeitsrechte ab.

Mussten Sie während Ihrer Karriere Autogramme geben?

Ja, das kam schon vor. Aber mir war das immer unangenehm.

Wie geht es bei Ihnen nun weiter?

Ich werde weiter als Videoassistent in Köln tätig sein und dazu als Assistenten-Coach für die 2. und 3. Liga arbeiten. Die Aufgabe als Coach ist aber reines Ehrenamt, ich möchte da einfach etwas zurückgeben.

Im Profifußball dürfen Sie nicht mehr an der Linie stehen. Sie könnten aber als Schiedsrichter im Amateurfußball tätig sein, zum Beispiel in der Verbandsliga. Wie wär’s?

Total gern, das ist für mich auch ein Thema. Es könnte aber zeitlich schwierig zu vereinbaren sein mit meiner Tätigkeit als Videoassistent.