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Interview mit Landarzt aus Warnitz

„Impfen für schnelle Rückkehr zur Freiheit“

Warnitz / Lesedauer: 6 min

Dr. Rainer Külker, Landarzt in der Uckermark, wirbt offensiv für Impfungen gegen Corona. Reporterin Sigrid Werner sprach mit dem 71-Jährigen.
Veröffentlicht:06.02.2022, 14:10

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Dr. Külker, Sie haben vor zehn Jahren, mit 61 Jahren, noch eine Landarztpraxis übernommen. Warum haben Sie sich das angetan?

Weil es der schönste Beruf unter der Sonne ist. Ich habe zuvor 20 Jahre lang in Afrika gearbeitet. Das war sehr spannend. Ich wollte aber noch ein paar Jahre weitermachen. Ich kann verstehen, wenn Kollegen müde werden. Ich spüre das auch. Aber solange es mir noch so viel Spaß macht ...

Wie hat sich Ihre Arbeit in der Pandemie verändert?

Unser Praxisteam hat Corona als deutliche Arbeitsmehrbelastung erlebt. Zum einen meldeten sich viel mehr Menschen mit Erkältungssymptomen. Ich selbst war durch eine Corona-Erkrankung 14 Tage aus dem Verkehr. Zum anderen haben wir geimpft, was das Zeug hielt. Und das ist ja nicht nur der Piks.

Es mussten Impfstoffe bestellt, Termine vereinbart, Beratungsgespräche geführt werden. Alles zusätzlich. Wir haben 2800 Impfungen verabreicht. Rechnet man dafür nur zehn Minuten, sind das 466 Stunden. Ich habe Pflegeeinrichtungen betreut und einsame Menschen gesehen. Die sozialen und psychischen Folgen sind kein Spaß. Umso mehr ist es mein Wunsch, dass wir aus dieser Lage so schnell wie möglich herauskommen und dem Virus nicht immer neue Einfallstore bieten. Ich habe drei Patienten wegen eines schweren Krankheitsverlaufes in eine Klinik einweisen müssen.

Das klingt erst mal nicht so viel ...

Wenn von 100 Infizierten zwei wegen eines schweren Verlaufes ins Krankenhaus müssen und einer sogar auf der Intensivstation landet, ist das schon erheblich. Die Summe macht es. Mir ist von der jährlichen Grippe nicht bekannt, dass Intensivstationen überlaufen und Menschen mit Hubschraubern verlegt werden müssen.

Die Gefahr der Überlastung der Intensivstationen durch Covid-Patienten scheint aktuell nicht so akut. Ist Omikron nur noch eine normale Grippe?

Ich würde das nicht verharmlosen. Omikron ist deutlich infektiöser. Wenn auch der prozentuale Anteil der Infizierten mit schwerem Verlauf sinkt, so wird das aber durch die absolut größere Zahl der Infizierten wettgemacht. Ganz zu schweigen von jenen, die in Quarantäne müssen und in Betrieben oder im Gesundheitswesen fehlen.

Könnte man da nicht sagen: Weg mit Beschränkungen und Quarantäne, dann haben wir schneller die Herdenimmunität erreicht?

Die „schmutzige“ Infektion fände ich ethisch nicht so toll. Schließlich nimmt man bei dem hochinfektiösen Virus eine große Zahl schwerer Verläufe mit in Kauf. Und wenn ich weiß, dass ich die deutlich verringern kann, dann möchte ich den Anstrengungen, die Impfquote zu erhöhen, den Vorrang geben. Das hat bislang auch die Politik so gesehen.

Dänemark hatte schon deutliche Lockerungen verfügt? Warum nicht wir?

Die Dänen haben nach dem rasanten Anstieg der Omikron-Fallzahlen Lockerungen wieder zurückgenommen. Sie haben aber eine ganz andere Impfquote. Dort sind schon 81,4 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft und 61,6 Prozent geboostert. Bei uns sind erst 74,3 Prozent der Menschen vollständig geimpft, 53,9 Prozent haben eine Auffrischung. Wir haben also Luft nach oben.

Je mehr Menschen noch ungeimpft sind, um so leichteres Spiel hat das Virus, sich weiter zu verbreiten und schneller zu mutieren. Wenn wir jetzt nicht impfen, werden wir im Herbst 2022 die gleichen Szenarien wie 2021 erleben. Deshalb kann ich nicht verstehen, warum sich bei uns ein Viertel der Leute so renitent dagegen sträubt. Dafür gibt es keine guten Argumente.

Vielleicht wegen der befürchteten Nebenwirkungen?

Noch nie in der Menschheitsgeschichte sind Impfseren häufiger verabreicht worden als gegen Corona. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), bei dem Nebenwirkungen gemeldet werden müssen, hat in seinem letzten Bericht vom Dezember 21 eine Bilanz gezogen: Nur bei 78 Todesfällen hat das PEI „den ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung als möglich oder wahrscheinlich bewertet“. Also zusammengefasst: 78 Todesfälle bei 123 Millionen Impfungen stehen über 118 000 Corona-Toten gegenüber, die durch Impfung zum großen Teil hätten vermieden werden können.

Impfskeptiker zweifeln die Wirksamkeit der Impfung an ...

Starben vor Impfbeginn am Tag bis zu 1000 Menschen auf den Intensivstationen an Corona, lag die Zahl zuletzt zwischen 40 und 170 pro Tag. Zwar steigt auch die absolute Zahl der infizierten Geimpften. Aber prozentual liegt der Anteil der Ungeimpften, die schwer erkranken, ungleich höher. Dazu kommen Long-Covid-Folgen, die noch keiner erfasst. In meiner Praxis sehe ich Patienten, die noch wochenlang nicht belastbar sind, über Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen (Nebel im Kopf) klagen, ihre sportlichen Aktivitäten nicht fortführen können.

Vor 150 Jahren wurden die Leute im Schnitt 50 Jahre alt, heute 80. Einer der drei Hauptgründe sind Impfungen. Mit ihnen konnten Kinderlähmung und Pocken ausgerottet werden, Masern, Tetanus und Diphterie wurden beherrschbar. All das gelang nur mit hohen Impfraten. Viele Menschen nehmen heute sogar starke Nebenwirkungen von Reiseimpfungen hin, nur weil sie das Abenteuer in ferne Länder lockt.

Dass jetzt fast ein Viertel der Leute nicht bereit ist, sich und andere vor schweren Corona-Verläufen zu schützen, empfinde ich eher als Egoismus. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland leidet darunter, weil er uns alle daran hindert, die folgenreichen Corona-Einschränkungen schneller hinter uns zu lassen.

Impfskeptiker trauen oft offiziellen Statistiken und der Politik nicht ...

Aber heute kann man stattdessen im Internet für jede noch so obskure Meinung einen Zeugen mit Doktor-Titel finden. Da ist es für alle nicht leicht, den Überblick zu behalten. Aber stellen Sie sich vor, Corona hätte nicht die Alten dahingerafft, sondern die Kinder. Wie freudig hätten wohl alle Eltern und Großeltern jede noch so kleine Chance genutzt und ihren Arm hingehalten? Das Pochen auf individuelle Freiheit endet für mich dort, wo ich durch solidarisches Verhalten Mitmenschen schützen kann. Meine Mitarbeiter tragen acht Stunden am Tag die Maske, auch wenn der Hals trocken wird. Aber es ist das geringere Übel. Die Sorge füreinander ist Grundpfeiler menschlichen Zusammenlebens.

Wie stehen Sie also zur Impfpflicht?

Medizinhistoriker verweisen auf schlechte Erfahrungen. Es entstehe eine Opferpopulation und das Fälschen von Impfdokumenten würde rasant anwachsen. Ich wünschte mir, Menschen überzeugen zu können. Aber wenn das in den nächsten Wochen keinen überzeugenden Erfolg hat, dann wäre ich wohl eher dafür.

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