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Fahrkostenstreit

Jessica (5): Meine Mama darf nicht sterben

Prenzlau / Lesedauer: 4 min

Michaela Gartzke aus Polßen ist schwer krank. Eine Chemo mit anschließender OP soll sie retten. Doch plötzlich wird das Thema Fahrkosten zur Hürde.
Veröffentlicht:09.09.2020, 13:47

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Vor vier Wochen war die Welt bei Michaela Gartzke noch in Ordnung. Die alleinerziehende Mutter freute sich über ihre beiden wohlgeratenen Kinder. Die kleine Jessica (5) und deren großer Bruder Tim (19) machten das Leben der arbeitslosen Bürokauffrau fast perfekt.

Hätte es noch mit einem Job geklappt, wäre die Hartz-IV-Empfängerin vermutlich wunschlos glücklich gewesen. Doch dann brachte ein zufällig entdeckter, schon fast drei Zentimeter großer Knoten in der linken Brust die schlimme Wende.

Plötzlich kreisten ihre Gedanken nur noch um Krankheit und Tod. Man kann vielleicht erahnen, wie froh die Uckermärkerin war, als ihr von ihrem Prenzlauer Frauenarzt sofort das renommierte Brustkrebszentrum Eberswalde empfohlen wurde. Nach tränenreichen Nächten begann die Polßenerin neue Hoffnung zu schöpfen.

Heilungschance

Die Experten im Barnim signalisierten ihr nach der Auswertung von CT, MRT und diversen Bluttests nämlich, „dass es vielleicht eine 80-prozentige Heilungschance gibt. 80 Prozent, das sind nicht 100. Aber das ist der Strohhalm, an den ich mich sofort geklammert habe“, sagt die 43-Jährige, während sie sich selbst an ihre Tochter klammert.

„Sie ist doch noch so klein, und auch mein Tim braucht mich“, sagt sie flehentlich, während Jessica bettelt: „Meine Mama darf nicht sterben.“ Die behandelnden Mediziner hätten auch sofort den nahtlosen Übergang zur Chemotherapie in Bernau organisiert, erzählt die Patientin. „Man sagte uns, dass die dortige Ärztin eine Koryphäe auf ihrem Gebiet ist. Das hat uns ungemein beruhigt“, erinnert sich Trautchen Mohns, die Tante der jungen Frau. Die 64-jährige Carmzowerin hat ihre Nichte seit dem Krebstod von deren Mutter vor sieben Jahren gemeinsam mit Schwester Elke Neumann-Pilz (56) unter ihre Fittiche genommen.

28 Kilometer Differenz

Sie war es auch, die als Bevollmächtigte in Verhandlung mit der Krankenkasse trat. Bis dahin hatte die DAK alle medizinischen Maßnahmen anstandslos bewilligt und übernommen.

Doch als es in dieser Woche um die Klärung der Kosten für die Fahrten zur Chemo ging, gerieten beide Parteien aneinander. „Ich bin fast explodiert, als man mir gesagt hat, dass sie nicht nach Bernau, wo sie schon die vorbereitenden Gespräche hatte, fahren soll, sondern nach Pasewalk, weil das näher ist“, echauffiert sich Trautchen Mohns: „Wir reden hier über 28 Kilometer Differenz, also rund sechs Euro pro Chemo-Tag.“ Eigentlich eine lapidare Summe, doch für die Kranke ist das viel Geld, weil es sich bis zur letzten Infusion am 17. Februar 2021 – danach wird geprüft, ob operiert werden kann – noch summieren wird.

Den Therapieplan mit allen Behandlungsdaten in Bernau hat sie schon in der Hand. „Ich habe mich auch damit abgefunden, dass ich in zwei Wochen alle Haare verliere. Aber dass ich jetzt grübeln muss, wo ich Geld herbekomme, macht mich zusätzlich krank.“ Bislang sei ihr bester Freund Steffen Potratz jedesmal in sein Auto gestiegen, um sie zu den Ärzten zu bringen.

DAK nicht unwillig

„Aber ich kann doch nicht verlangen, dass er das fast unentgeltlich macht“, sagt Michaela Gartzke weinend: „Auch meiner Familie will ich nicht ständig auf der Tasche liegen.“ Sie hofft, dass die DAK noch ein Einsehen hat. Regionalchef Thomas Soik will sich nicht Unwilligkeit unterstellen lassen und stellt klar, dass „wir als gesetzliche Krankenkasse per Gesetz verpflichtet sind, Leistungen nach dem Maß der Notwendigkeit, der Zweckmäßigkeit sowie der Wirtschaftlichkeit gegenüber der Versichertengemeinschaft zu prüfen.“

Die Krankentransportrichtlinien seien für alle Kassen bindend und besagten, dass Fahrkosten nur bis zur nächstgelegenen Behandlungsmöglichkeit zu bewilligen seien. Frau Gartzke habe deshalb für Pasewalk eine Leistungsbewilligung erhalten. „Wir weigern uns also nicht, ihr die notwendige Behandlung nebst Fahrkosten zur Verfügung zu stellen.“ Nach der Intervention der Familie lasse man jetzt vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) prüfen, ob in ihrer persönlichen Situation eine Behandlung in Bernau medizinisch vorzuziehen sei. Eine abschließende Beurteilung stehe noch aus.