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Schicksal

Taxifahrerin (55) ist die gute Seele der Krebskranken

Hardenbeck / Lesedauer: 5 min

Wer oft Patienten zu Chemos, Bestrahlungen oder Operationen bringt, stumpft vielleicht ab. Nicht so Eveline Schmaedeke aus Sternthal, sagen Patienten.
Veröffentlicht:05.11.2020, 18:59

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Der Volksmund sagt: In der Not erkennt man, wer die wahren Freunde sind. Mit ein bisschen Glück gewinnt man sogar neue dazu. Diese Erfahrung durfte Ines Greißner machen. Die 53-Jährige hatte in den vergangenen Monaten gleich drei Schicksalsschläge zu verkraften. Dass sie selbst in den schwersten Stunden wieder Mut schöpfen konnte, verdankt die Hardenbeckerin neben ihrer Familie und dem Klinikpersonal auch einer Taxifahrerin aus der Region, wie sie dankbar sagt.

Aber der Reihe nach: Im Mai 2019 bekam die zweifache Mutter die Diagnose Brustkrebs. Die Ärzte mussten der gelernten Zootechnikerin mitteilen, dass sie an einer besonders aggressiven Form des Mammakarzinoms leidet.

Chemos und Bestrahlung

Es folgten Chemos, OP und Bestrahlung. In dieser Zeit lernte die zuletzt als Altenpflegerin tätige Uckermärkerin Eveline Schmaedeke aus Sternthal kennen. Die 55-jährige Unternehmerin hatte nämlich den Auftrag bekommen, die schwerkranke Patientin zu ihren Behandlungen zu fahren. Ehe sich die Frauen versahen, entwickelte sich viel mehr als eine Geschäftsbeziehung. Je öfter sie zusammen im Auto saßen, desto mehr wussten sie auch voneinander, desto mehr schätzten sie sich. „Die Evi ist so eine Seele von Mensch“, schwärmt Ines Greißner. Viele andere Taxifahrer hätten die Touren vermutlich nur als Job angesehen, ist der Krebskranken klar, „aber nicht meine Evi.“ Die fast Gleichaltrige begnügte sich nicht damit, stets pünktlich vorm Haus zu stehen und die Fahrten in die Krankenhäuser zu absolvieren.

Wie eine Schwester

„Nein, sie hat mich regelrecht umsorgt“, sagt Ines Greißner dankbar. „Sie ist wie eine Schwester für mich geworden.“ Das war umso wichtiger, als dass die leibliche Schwester der Patientin derzeit selbst gegen den Krebs kämpft und daher nur wenig Hilfe bieten kann. Weil auch die Eltern von Ines Greißner schon an Krebs gestorben sind, ist sie für jede andere Unterstützung dankbar. „Man merkt richtig, dass Evi das Schicksal ihrer Fahrgäste nicht egal ist, sondern dass sie alles dafür tut, ihnen das schwere Los ein bisschen leichter zu machen.“

Ines Greißner erzählt von selbstgebackenen Plätzchen, die sie an Weihnachten bekam, von kleinen Erledigungen, die die „Chauffeurin“ ungefragt macht, wenn ihr selbst nach der Chemo oder Bestrahlung die Kraft dafür fehlte. „Sie setzt mich auch nie nur einfach vor der Tür ab, sondern bringt mich bis zur Couch, damit ich mich hinlegen kann.“ Die Patientin weiß, dass das nicht selbstverständlich ist und dass die Selbstständige diese Extras von niemandem vergütet bekommt. „Aber das erwartet sie auch nicht. Sie ist so eine Seele von Mensch, dass sie nicht anders kann, als anderen Gutes zu tun.“

Pakete verschickt

Nebenbei verrät Ines Greißner lachend, dass Eveline Schmaedeke sie sogar bei ihrem Hobby unterstützt habe. „Sie hat mich ermuntert, weiter meine kleine Ziergeflügelzucht zu betreiben und sogar meine Pakete zur Post gebracht, als ich nicht mehr konnte.“ Die Hardenbeckerin ahnt, dass dieser Herzensmensch in ihrem Leben es auch ihrem eigenen Mann leichter macht, mit ihrem Schicksal umzugehen. „Er ist unter der Woche auf Montage und hat auf seinem Lkw mehr Ruhe, seitdem er weiß, dass ich bei ihr in guten Händen bin und mich zur Not rund um die Uhr an sie wenden könnte.“

Ines Greißner findet toll, dass Eveline Schmaedeke auch ihre beiden Angestellten, Olaf und Karin, bereits so „geeicht“ hat, dass sie schon genauso aufmerksam und bemüht sind. „Ich möchte ihr deshalb auf diesem Wege mal von ganzem Herzen danken.“ Ines Greißner weiß noch nicht, ob der Krebs nach der Entfernung des Tumors in der Brust und der später entdeckten Kopfmetastase nun endlich besiegt ist. Schließlich hatte er auch schon in den Rücken gestreut. „Sie können sich sicher vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man immer wieder solche Hiobsbotschaften bekommt. Aber auch in solchen Momenten war Evi stets für mich da, hat mir von ihrem eigenen schweren Schicksal erzählt und mich aufgebaut. Wir können mittlerweile nicht nur gut zusammen weinen, sondern auch herzhaft lachen.“ Sie ahnt allerdings, dass beim Lesen der Zeitung in Sternthal heute Tränen fließen werden ...

Ehemalige Schülerin

Dem Dank schließen sich die Beiers aus Boitzenburg an. Traute und Eckhard Beier hatten in ihrem Leben noch so viel vor. Doch dann erkrankte der heute 81-Jährige schwer. Er hat Hautkrebs, Parkinson und Demenz. 2016 entdeckten die Ärzte zudem an seiner linken Niere einen bösartigen Tumor, der entfernt werden musste. Nachdem auch die zweite Niere ihren Dienst fast versagte, blieb dem Boitzenburger nur noch der Weg an die Dialyse. Dreimal die Woche wird der einstige Lehrer seitdem zur „Blutwäsche“ gebracht. Meist steht Taxifahrerin Eveline Schmaedeke an der Tür. In ihren Händen weiß ihn Ehefrau Traute Beier sicher. „Wir kennen die Eveline ja schon von klein auf. Sie ist so alt wie einer unserer Söhne und hat bei uns im Unterricht gesessen“, verrät die 78-Jährige stolz. Zusammen seien sie 1960 als Junglehrer in die Uckermark gekommen, erinnern sich die beiden pensionierten Pädagogen zurück.

Los ging es damals mit dem Unterricht für die ersten bis vierten Klassen in Wichmannsdorf. Mittendrin saß ihre heutige „Chauffeurin“. Traute Beier erzählt, dass sie ihren Werdegang verfolgt und so auch mitbekommen habe, dass ihr im Leben nichts erspart blieb. Konkreter will die Rentnerin gar nicht werden. „Aber eins ist sicher: Eveline weiß, wie sich die Angst um einen kranken Angehörigen anfühlt und wie bedürftig diese Menschen sind.“

Vor allem ihren Mann habe die jüngere Frau sehr ins Herz geschlossen, freut sich die betagte Uckermärkerin. „Er war für die Eveline so etwas wie ein Vatersatz, weil sie die eigenen Eltern früh verloren hat.“ Entsprechend liebevoll betüttelt sie ihn auf seinen Touren. „Wenn ich mal nicht da bin, bringt sie ihn bis an sein Bett und zieht ihm sogar die Schuhe aus. Wo findet man so einen Goldschatz von Mensch heute noch?“