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Politikwissenschaftler

„Wir haben keine Corona-Diktatur in Deutschland“

Malchow / Lesedauer: 3 min

Werner J. Patzelt sieht mit Sorge, dass viele Bürger dem Staat innerlich gekündigt haben. Daran seien die Regierenden teils selbst schuld, meint er.
Veröffentlicht:30.03.2022, 10:37

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„Was machen wir mit unserer Demokratie?“ – Diese Frage wirft am Donnerstag, dem 7. April, Professor Werner J. Patzelt beim nächsten öffentlichen Gemeindeabend in Malchow (Uckermark) auf. Der gebürtige Passauer, bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für politische Systeme an der TU Dresden, verbringt gegenwärtig viel Zeit in Ungarn, wo er als Gastprofessor am Mathias-Corvinus-Collegium in Budapest lehrt. Den dortigen Umgang mit Corona beschreibt der 68-Jährige als wohltuend gelassen im Vergleich zu der in Deutschland häufig an den Tag gelegten Hysterie.

Die ungarische Regierung habe gleich zu Beginn der Pandemie rigide Maßnahmen ergriffen und das öffentliche Leben stillgelegt, sei aber dann schnell zu einer liberalen Politik zurückgekehrt. Mittlerweile gebe es dort keine Maskenpflicht mehr und auch sonst kaum noch Einschränkungen. Das könnte unter Umständen an der besseren Datengrundlage liegen, vermutet der Politikwissenschaftler: „Die Ungarn haben beispielsweise ein aussagekräftiges Impfregister, während man bei uns nicht mal weiß, wie viele schon eine Impfung hatten.”

Tiefe Spaltung

Den Gastprofessor treibt auch in der Ferne die mittlerweile tiefe Spaltung der Gesellschaft in seinem Heimatland um. Der mit dem Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages geehrte Patzelt sagt: „Leichter ließe sich zwischen den Befürwortern und den Kritikern derzeitiger Corona-Politik ins Gespräch kommen, wenn nicht an der Regierungspolitik selbst so vieles unschlüssig und wankelmütig wäre – und wenn die jeweils ergriffenen Maßnahmen nicht stets so vertreten würden, als wäre jede zweifelnde Nachfrage von Dummdreistigkeit oder Verschwörungstheorie getragen.“ Das habe dazu geführt, dass viele Bürger dem Staat schon innerlich gekündigt hätten, weil bei ihnen der Eindruck entstanden sei, „dass die da oben böswillig sind.”

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Dem möchte er so nicht beipflichten, aber Patzelt sieht bei den Regierenden durchaus eine Mischung aus Inkompetenz und politischem Unwillen, gewisse gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Für unbegründet hält er den Vorwurf, „dass Deutschland eine Merkel- oder Coronadiktatur ist.” Angefangen hätten die Vorwürfe 2015/2016, als die erste Flüchtlingswelle kam und die Migrationspolitik vielen missfiel. „Aber damals war nicht das Gros der Bevölkerung in seinem Alltag davon betroffen. Das änderte sich erst mit Inkrafttreten der Corona-Maßnahmen.”

Profiteure erkennbar

Die Profiteure der zunehmenden Unzufriedenheit seien die Rechtspopulisten, ist der gebürtige Bayer überzeugt. Seine Schlussfolgerung: „Wir müssen uns um die Demokratie kümmern, denn sie ist sehr störanfällig. Das haben die Protestaktionen während der Pandemie gezeigt.” Es sei ein ernstzunehmender Warnruf, wenn sich ein immer größerer Teil der Bevölkerung ausgegrenzt und unverstanden fühle, betont Patzelt. Erschwerend hinzu komme, dass den offiziellen Medien immer weniger Glauben geschenkt werde, weil „der deutsche Journalismus in den letzten Monaten weniger zur Aufklärung als zur Verfestigung von Fronten beigetragen hat, obwohl es seine Aufgabe gewesen wäre, zu hinterfragen. Aber es gehört inzwischen zum Credo der Redakteure, dass man Haltung zeigen, das Richtige vertreten und sich allem vermeintlich Üblen in den Weg stellen muss.” Dadurch würden allerdings immer mehr Menschen in fragwürdige Kanäle und Internet-Foren getrieben, mahnt der erklärte Verfechter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung abschließend.

Wer den streitbaren Wissenschaftler erleben will, sollte sich schnell anmelden unter Telefon: 039854 546.

Parallel zu seinem Vortrag ist in der Kirche die Dauerausstellung zum Buch „Nur der Himmel blieb derselbe – Ostpreussens Hungerkinder erzählen vom Überleben“ zu sehen. Die Exposition schöpft aus den Gesprächen, die Autor Dr. Christopher Spatz mit Zeitzeugen geführt hat. Eindrucksvolle Lebensgeschichten und Portraits verleihen dem Schicksal der ostpreußischen Mädchen und Jungen nach Jahrzehnten der Unsichtbarkeit endlich Ausdruck. Die Ausstellung bleibt bis Herbst in der Kirche aufgebaut.