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Dieser Mann führte Europas größte Bullenmast

Ferdinandshof / Lesedauer: 4 min

Die Rindermast in Ferdinandshof galt als Vorzeigebetrieb der DDR mit hohen Umsätzen und so manchem Vorteil für jene, die dort arbeiteten. Hans Gotthardt war ihr Chef.
Veröffentlicht:07.08.2022, 06:27

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„Das Schlimmste war der Hunger“, sagt Hans Gotthardt über die Jahre als Kind in Halle an der Saale. Die Stadt war im Zweiten Weltkrieg durch Bombenangriffe stark zerstört worden, die Lebensmittel für die leidgeprüfte Bevölkerung besonders knapp. „Wegen des Hungers bin ich in die Landwirtschaft gegangen“, sagt er.

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Endlich keinen Hunger mehr leiden

Mit 14 Jahren hat er sich als Lehrling in dem VEG Salzmünde beworben. Zusammen mit 100 anderen jungen Leuten begann er 1952 seine Lehre. Morgens ab 4.30 Uhr im Stall, Schweine und Kühe versorgen, ausmisten und füttern, ackern mit dem Ochsengespann, melken. „Ich hatte endlich satt zu essen.“ Als Lohn gab es 28 Mark.

Danach lernte Gotthardt an den Fachschulen für Landwirtschaft in Eisenach und Buttstädt weiter. Der junge Mann stieg schnell auf, kam über Jobs in der LPG in Neuruppin, in der Abteilung Landwirtschaft beim Rat des Kreises Neuruppin und beim Bezirkslandwirtschaftsrat Potsdam 1968 nach Ferdinandshof. Er begann als stellvertretender Vorsitzender des Landesguts, das den Auftrag erhalten hatte, eine industrielle Rindermast auszubauen.

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Bis zu 32000 Tiere auf dem Gelände

Ferdinandshof wurde Sitz des Kombinats Industrielle Mast (KIM). Im Mai 1969 wurde nach einem SED-Beschluss das KIM zerschlagen. „Wir haben damals massiv protestiert, aber es half nichts“, erinnert sich Gotthardt. Das Kombinat wurde aufgespaltet in den VEB Rindermast und das Tierzuchtgut „Große Wiese“.

Die 10 000 Hektar Flächen wurden von der ZBE Pflanzenproduktion (Zwischenbetriebliche Einrichtung) bewirtschaftet, die das Futter für die beiden Tierzuchtbetriebe lieferte. Alle drei Betriebe hatten ihren Sitz in Ferdinandshof. Hinzu kam die LPG Tierproduktion Ferdinandshof. Insgesamt arbeiteten etwa 1500 Menschen in den vier Betrieben.

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Gotthardt wurde 1975 vom DDR-Landwirtschaftsminister zum VEB-Direktor ernannt. Mit in der Spitze bis zu 32 000 Tieren galt der Betrieb als größte Rindermast Europas. Etwa 380 Mitarbeiter versorgten die Tiere, das Unternehmen verfügte auch über eine eigene „starke Baubrigade“ von rund 50 Mann, sagt Gotthardt. Dem Ruheständler ist der Stolz auf „seine“ Rindermast bis heute anzumerken. In seinem besten DDR-Jahr habe der VEB 39 Millionen Mark Gewinn erwirtschaftet. Davon profitierten auch die Mitarbeiter, die Gehälter waren höher als in den meisten anderen Gütern und Genossenschaften. 800 bis 900 Mark für die Mitarbeiter, rund 1000 Mark für Meister und andere leitende Kollegen.

Eigenes Ferienheim für Mitarbeiter

„Wurde der Plan erfüllt, gab es am Jahresende noch einmal zwei Monatsgehälter zusätzlich.“ Im eigenen Ferienheim in Ahrenshoop (Fischland-Darß), das sich der Betrieb 1,7 Millionen Ostmark hatte kosten lassen, zahlten die Mitarbeiter für zwei Wochen Urlaub samt Vollpension 160 Mark.

Das Fleisch wurde anfangs fast ausschließlich in der Pasewalker Fleischfabrik geschlachtet und verarbeitet. Ab Anfang der 1980er-Jahre lieferten die Ferdinandshöfer etwa 25 Prozent des Schlachtviehs nach Westberlin. Die Devisen flossen allerdings in den Staatshaushalt.

Angesichts des hohen Viehbestands war Ferdinandshof aber auch „berühmt“ für den Gülle-Geruch. „Das ist für mich wie der Harzer Käse, der stinkt auch, aber er schmeckt mir“, sagte Gotthardt. Auch der Direktor eines Vorzeigebetriebs musste angesichts der Mangelwirtschaft oft improvisieren. „Einen T-174-Kran zu bekommen, war schwieriger, als eine Frau zu bekommen.“ Als Gotthardt nach Leipzig fuhr, zum einzigen Betrieb, der Viehwaagen produzierte, bekam er seine Waage erst, nachdem er den Sachsen zwei Zimmer für mehrere Sommer im Urlauberheim in Ahrenshoop zugesichert hatte.

Gotthardt hat „die Arbeit immer Spaß gemacht.“ Das gelte auch für die schwerste Zeit des Gutes, die Jahre der Wende. Gotthardt wurde 1990 auch die Verantwortung für die anderen Landwirtschaftsbetriebe in Ferdinandshof übertragen. Plötzlich hatte er 1500 Menschen, 10 000 Hektar, 40 000 Rinder, 15 000 Schweine und 100 000 Hühner unter sich. Unter den 800 Mitarbeitern, die gehen mussten, waren auch sehr gute, erinnert er sich. Bis 1996 war die Rindermast ein Treuhandbetrieb, dann gelang die Privatisierung, die dem Staat laut Gotthardt eine zweistellige Millionensumme in die Kasse spülte.