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Uwe Saeger

Judas-Kuss der Erweckung

Bellin / Lesedauer: 3 min

Schaffenskrisen und Schreibblockaden gehören zum Beruf des Schriftstellers.
Veröffentlicht:03.01.2008, 00:00
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Das Lesepublikum bekommt davon selten etwas mit. Veränderte Themen und neue Textperspektiven werden meist wohlwollend genialisch gedeutet. Autoren sprechen über Krisen, wenn diese Gott sei Dank vorbei sind. Uwe Saeger, der heute 60 Jahre alt wird, lässt uns an der Einsicht teilhaben, dass er die vergangenen fünf, sechs Jahre nur noch sich und seine Probleme als literarisches Thema verarbeiten konnte. Dies sei ein jämmerlicher Zustand gewesen. "Den habe ich überwunden und die Zweifel an mir ausgeräumt", konstatiert der in Bellin bei Ueckermünde lebende Autor.

Für März ist aus seiner Feder ein neues Buch mit dem Titel "Die geläuterte Zeit. Ein Judas-Bericht" angekündigt. Dies soll zumindest im Schreibgestus einen völlig neuen Saeger präsentieren. Der 180-Seiten-Roman kommt ohne einen konkreten historischen Bezug aus. Ein Bericht über Judas sei immer auch ein Jesus-Buch, meint der an geschichtlichen Stoffen erprobte Schriftsteller. Es erzähle aus den letzten drei Monaten des Lebens Jesu von der Auswahl der Jünger bis zum geheuchelten Kuss des Judas als Zeichen des Verrats.

Damit knüpft der Bachmann-Preisträger von 1987 an Texte an, in denen er sich mit trojanischen Helden, Prometheus, Empedokles oder Laokoon in der metaphernreichen Welt der Antike bediente und die Ewigkeit deren Tragödien beschwor. Die Zeiten für solche Themen sind nicht die schlechtesten, da gerade der österreichische Dichter Raoul Schrott mit der Neuübersetzung der "Ilias" Aufsehen zu erregen vermag und sensationellerweise die wirkliche Identität Homers entdeckt, der wohl kein blinder Sänger aus Kleinasien war.

Mit Saegers neuem Buch gibt es nach einigen Jahren beim Merlin Verlag Gifkendorf auch eine Rückkehr zum Hause Hinstorff. Dort begann 1976 Saegers Schriftstellerkarriere mit dem Erzählband "Grüner Fisch mit gelben Augen", dort veröffentlichte er seinen nicht unwichtigen Ehe-Roman "Nöhr". Die Rostocker Verleger bewiesen damit ein besseres Gespür für das Talent des jungen Lehrers, der zuvor zehn Jahre vergeblich versucht hatte, bei Aufbau in Berlin zu debütieren. Nun trägt sich der gebürtige Ueckermünder mit der Hoffnung, bei Hinstorff eine "Endstation" für sein schriftstellerisches Werk gefunden zu haben, das zahlreiche Romane, Erzählungen, Gedichte, Drehbücher und Essays umfasst.

Sicher ist das mehr als 175 Jahre alte Rostocker Verlagshaus nicht mehr wie in jenen DDR-Jahren mit einem gewichtigen belletristischen Programm vertreten. Für den heimatsüchtigen Autor hat die geografische Nähe seines Stammverlages schon eine gewisse Bedeutung. So wie er gern erzählt, dass es die Bäume am Ueckermünder Haff seien, die das Meiste über ihn wissen könnten. Verlag und Autor haben Veränderungen durchlaufen, die durch das Ende der DDR und die deutsche Einheit bedingt waren. Sicher hat der Schreibjunkie als kompromissloser Entäußerer seiner Seele Zeit gebraucht, den Gedankenraum von den Hinterlassenschaften eines ostdeutschen Lebens frei zu räumen, etwa dem eines Grenzsoldaten.

Saeger hat an den moralischen Konflikten der DDR-Gesellschaft seinen poetischen Verstand geschärft. Dafür stehen Texte wie "Das Überschreiten einer Grenze bei Nacht" (1988). Diese Erzählherkunft prägt ihn und vermittelt ihm das Gefühl, nie mehr aus unschuldiger Fantasie heraus schreiben zu können. Wenngleich die neuere deutsche Zeitgeschichte seine Schreibhaltung nicht gebrochen hat. Ihn trägt die Überzeugung, dass sich etwa die Zutaten zur griechischen Tragödie auch noch in vorpommerschen Familien am Anfang des 21. Jahrhunderts finden lassen. Saegers Erzählen besitzt so eine unaufdringliche Transparenz ins Archaische. Als sei es die letzte lebenserhaltende Funktion von Literatur, die Lüge von der unentwegt Geschichten produzierenden Medienwelt zu entlarven.